Emanzipation durch starke Bilder

Manchmal braucht es starke Bilder, um angebliche Schwächen zu dementieren. Wenn die Frau nicht mehr als das „schwache Geschlecht“ angesehen wird, dürfte dies auch damit zu tun haben, dass die Ikonographie ihrer Vagina besonders stark ist. Nie gab es so vielfältige Symbole für das weibliche Geschlecht. Nie so eindrückliche formale Assoziationen mit hohem Wiedererkennungswert. Eine Auswahl.

Als Gloria Steinem in den 1960er Jahren zu einer Ikone des Feminismus avancierte, ahnte sie sicher nicht, wie präsent die Vagina einmal werden würde. Steinem prägten den Ausspruch der „Da-unten-Generation“, um damit Frauen zu beschreiben, die ihre Jugend vor den 1970er Jahren verlebt hatten und es vermieden, Begriffe wie ‚Vagina’ überhaupt in den Mund zu nehmen – geschweige denn ihr Geschlecht zu thematisieren. Statt jene Organe zu benennen, die mit weiblicher Sexualität zu tun hatten, begnügte man sich mit einem verlegenen ‚da unten‘.

Doch der Ausspruch ‚Da-unten-Generation‘ zielt nicht darauf ab, die Karikatur einer beschämten oder gar prüden Frau zu zeichnen. Jedes Wort und jede Sprachwendung hat vielmehr auch eine eigene und nur schwerlich abzuwendende Dimension, sei sie ihrer konkreten Herkunft oder vertrauten Assoziationen geschuldet. ‚Da unten‘ impliziert etwa eine Zeigerichtung. Nicht nur in die Tiefe – in das Loch -, auf das die Vagina für lange Zeit reduziert wurde. Sondern auch auf die (Tiefen)Psychologie eines Sigmund Freud, der wiederum wesentlich an der Stärkung des Phallus als Symbol des Begehrens Anteil nahm. Und im Gegenzug eine Schwächung der Vulva als allgemeinen Ausdruck sexuellen Verlangens in Kauf nahm.

Außerdem kann man ‚Penis‘ – sowohl sprachlich als auch visuell – verwenden, um auf eine witzig-ironische Art Prüderie zu überwinden. Das passiert beispielsweise in einer populären Filmszene aus „500 Days of Summer“. Joseph Gordon-Levitt und Zooey Deschanel – im Film Tom und Summer – sitzen in einem Park, sie sind frisch verliebt. Summer schlägt Tom ein Spiel vor: man wiederholt gegenseitig ein vom beginnenden Spieler ausgewähltes Wort und wird dabei immer lauter. Das Wort, welches Summer auswählt, ist ‚Penis‘, und die beiden beginnen es immer lauter in den Park zu rufen, bis es Tom zu viel ist und er beginnt, seine Partnerin zu zügeln. Mit dem Wort ‚Penis‘ gelingt es Summer, unter Beweis zu stellen, dass sie Humor hat, schamlos und frech ist. Dass sie sich etwas traut – aber in gewohnten Bahnen. Denn obwohl Penis obszön ist, wäre Vagina obszöner. Da mit ihr gerade kein ironischer Unterton, kein belanglos-unbeschwerter Humor verbunden ist.

War es das Ziel von Gloria Steinem und mit ihr der sogenannten zweiten Welle des Feminismus, die Vagina überhaupt wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, sie aus ihrem ‚da unten‘-Schlaf zu erwecken, versuchen gegenwärtig die Feministinnen und Feministen einer vierten Welle, sie neu zu codieren. Dass es dabei besonders wichtig ist, ihr auch visuell ein öffentlich wirksames Gesicht zu verleihen, wird umso deutlicher, wenn man sich die frühere Codierung der Vagina ansieht: nämlich als Loch – und damit als Leerstelle. Wo man wieder bei Freud und auch bei Jaques Lacan angekommen wäre, die jede Sexualität – ob männlich oder weiblich – auf den Phallus bezogen haben. Begründet wurde das mit dem Argument, dass der Penis griffiger, äußerlich sichtbarer sei als die Vagina. Und noch heute dürfte dies der Grund dafür sein, dass man eben ‚Penis‘ ruft, um sexuellen Humor oder Schamlosigkeit anzuzeigen – und nicht Vagina.

Für viele Feministinnen und Feministen bedeutete dies in Umkehrschluss, dass die weibliche Sexualität als Mangel wahrgenommen wird: „Man nehme einen Menschen – also einen Mann – entferne den Penis und erhalte so eine Frau“, heißt es etwa in dem feministischen Frauenmagazin „Emma“.

Heute kann davon immer weniger die Rede sein. Tatsächlich haben vor allem die sozialen Medien die Sichtbarkeit der Vagina – jenseits von Pornografie – in großem Umfang vorangetrieben. Ihre Ikonographien sind vielfältig, genauso wie die damit verbundenen Aussagen. In all den Bildern zeigt sich jedoch eines ganz deutlich: die Vagina ist längst nicht mehr ein Loch oder eine Leerstelle, sondern hat – von Vulva bis Uterus – eine ganz eigene und spezifische Form. Zehn Beispiele:

1. Zufällige Assoziationen

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Die Form der Vulva ist sogar derart eigen und bekannt, dass man sie überall wiederentdeckt: sei es in Rosenblättern, Tischdecken oder Gebirgsrissen. Wo die Vagina sonst oft problematisiert wird – etwa als defizitärer Phallus -, nimmt ihr das Spielerische der formalen Wiederentdeckungen jeden Ernst und betont ihre formale Spezifik.

2. Die Vagina als Frucht

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Eines der beliebtesten Motive in den sozialen Medien im Kontext des weiblichen Geschlechts ist die Frucht. Eine naheliegende Assoziationen, die symbolhaft ist. Wer diese Bilder einmal zur Kenntnis genommen hat, kann kaum umhin, nicht in jeder aufgeschnittenen Orange eine Vagina zu entdecken. Gleichzeitig haben die Früchte eine gewisse Lupenwirkung, tragen vergrößert nach Außen, was manchmal hinter Schamhaar oder kleinen Vulven verborgen liegt. Denn sie betonen das Fleischige und berühren den Tastsinn.

3. Die Menstruation

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„Am wirksamsten als Liebeszauber ist das das Beibringen von Menstrualblut in Speise oder Trank, am liebsten Kaffee“, heißt es im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Schaut man sich darin die unterschiedlichen Verwendungsweisen des Menstruationsblutes an, fällt auf, dass es meistens in der gleichen Logik stand wie Speichel oder Schweiß. In ihrer Wirkung wurde es oft als Steigerung gegenüber anderen Körperausflüssen wahrgenommen: So reicht das Tunken einer Semmel in Schweiss, um einen Mann zu verführen. Zur Liebe bedarf es jedoch des Menstruationsblutes. Darin mündet letztlich auch die feministische Kritik an der fehlenden öffentlichen Sichtbarkeit der weiblichen Menstruation: Ihre Wegrationalisierung diene dazu, das Bild der reinen – unbeschmutzten – Frau zu erhalten. Während der Schweiß des Mannes sogar erotisch codiert werden kann, ist der Schweiß der Frau und ihr Menstruationsblut ein Zeichen für fehlende Aufmerksamkeit bei der Hygiene. Die sogenannte „New Feminism Wave“ schafft daher Bilder, die den monatlichen Blutungen ihre Selbstverständlichkeit zurückgeben sollen.

4. Die Madonna Mandorla

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Wer Kunst oder Kunstgeschichte gelernt hat, dürfte bereits eine Menge Madonnen gesehen haben. Goldene Madonnen, Madonnen mit langen Hälsen, Madonnen mit Kind und Madonnen ohne Kind. Thronende Madonnen, stillende Madonnen, betende Madonnen und trauernde Madonnen. Madonnen in blauen Gewändern. Madonnen, die auf einer Sichel stehen. Madonnen, die ein Strahlenkranz umringt. An eine Vagina hatte wohl keine dieser Madonnen erinnert. Und man bekam dies auch nicht vermittelt. Doch auch davon kann nun keine Rede mehr sein. Denn in den sozialen Medien werden plötzlich Madonnen-Bildnisse – insbesondere die Madonna Mandorla (Madonna in der Mandel) – zu Synonymen für das weibliche Geschlecht. Ursprünglich, indem man sie einfach im Kontext feministischer Blogs veröffentlichte. Doch werden zusehend eigene Mandonna-Mandorla-Kreationen als Gifs oder Collagen angefertigt, um die Vagina-Assoziation zu stärken. Etwa wenn eine Madonna vor eine geöffnete Auster gesetzt wird.

5. Kosmische Vagina

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“Der Sündenfall unserer Spezies liegt in der Abkehr von der Tradition der Verehrung des Weiblichen“ heißt es in dem umstrittenen und 2013 in Deutschland publizierten Buch „Vagina. Eine Geschichte der Weiblichkeit“ von Naomi Wolf. Und tatsächlich galt schon vor Jahrtausenden die Vulva als Machtsymbol – so wie heute der Phallus. Das lag vor allem am Zyklischen: Wie die Himmelskörper in regelmäßigen Abständen erscheinen und verschwinden, ist auch der weibliche Körper von sichtbaren und monatlich wiederkehrenden Erscheinungen gekennzeichnet: den Monatsblutungen. „Es gibt eine Vagina-Geist-Beziehung, die der Westen zu verschleiern suchte“, schreibt Wolf. Die gegenwärtige Bildwelt zeigt, dass diese Analogie durchaus noch oder wieder erinnert wird.

6. Der Uterus

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Die Bilder vom Uterus sind allen voran der Faszination an den verborgenen Formen des weiblichen Geschlechts geschuldet. Gleichzeitig bildet er ein Pendant zur Dominanz der Penisform, die auch deshalb so populär ist, weil man sie sich gut einprägen kann. Der Uterus ist jedoch mindestens genauso einprägsam – dafür muss er nur noch in Erscheinung gebracht werden. Und das wird er.

7. Die Raute

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Nicht erst seit Angela Merkel das Handzeichen ausführt, ist es als das Zeichen für Yoni bekannt. Yoni ist eine Begrüßungsgeste, bei der die Form des weiblichen Genitals nachgeformt wird, und ein Symbol für weibliche Macht.

8. Vagina Dentata

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Angeblich wurde die Vagina Dentata – die bezahnte Vagina – von Männern mit Kastrationsangst erfunden. Kein anderer als Freud prägte anlässlich dieser Legenden den Namen „Vagina Dentata“. Nahm die Populärkultur das Motiv lange Zeit noch relativ ernst, ist es gegenwärtig meistens ironisch konnotiert.

9. Schaamhaar

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Einerseits ist die Vagina nackter denn je, andererseits aber auch bekleideter. Auch das Schamhaar ist Ausdruck feministischen Protestes – und wird auch als solcher wahrgenommen. Etwa wenn ein Bild von Petra Collins auf Instagram gelöscht wird, nur weil unter ihrem Slip gekräuseltes Haar hervorlugt. Hier wird nicht dafür plädiert, die sonst verborgene Vulva sichtbar zu machen, indem man sie von der verdeckenden Haarpracht befreit. Das ist jedoch keinesfalls widersprüchlich, denn die Intimrasur hatte vor allem zur Folge, dass es auch für die Vulva ein Schönheitsideal gibt. Und sie entsprechend schönheitsoperiert wird.

10. L’Origine du Monde

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Gustave Courbets „L’Origine du Monde“ von 1866 gilt als eines der pornografischsten Kunstwerke der Moderne, dessen Rezeption vor allem von der Beschreibung heftiger Reaktionen gekennzeichnet ist. Fast 100 Jahre nach seiner Entstehung kaufte Jaques Lacan das Original. Es galt noch immer als derartig obszön, dass er seinen Schwager – den Künstler André Masson – beauftragte, einen verstellbaren Doppelrahmen dafür zu bauen, der auf der Vorderseite ein Landschaftsgemälde zeigte. Insofern ist das Bild ein Inbegriff für die Ablehnung pornografischer Inhalte. Gegenwärtig wird es daher auch gerne dafür hergenommen, sich über die Zensur der sozialen Medien lustig zu machen.

2 Antworten zu „Emanzipation durch starke Bilder”.

  1. Stolle hohe Kunstgeschichte !

    Mehr mehr. ….

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  2. Ich finde deinen Text und die vielen Bilder echt super!
    Es gibt nur ein Problem: du schreibst hauptsächlich von Vagina, meinst aber eigentlich immer Vulva. Vagina ist kein Synonym für Vulva! Die Vagina (auch Scheide) ist nämlich nur der Teil, der die Gebärmutter (also den Gebärmuttermund) mit dem Scheidenvorhof, der zur Vulva gehört, verbindet.
    Ich will nicht pingelig sein, aber ich finde es wichtig sich darüber bewusst zu sein, dass wenn wir Vagina sagen, wir eigentlich nur von dem „Schlauch“ sprechen, der zur Gebärmutter führt, also diese „Loch“-Rhetorik à la Freud und Sartre quasi mitbedienen. Interessant dazu ist das Comic-Buch von Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt
    Ahoi! Und trotzdem: wirklich ein toller Artikel!!

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