Der professionalisierte Künstler

Als ich mir die Ausstellung „Gegenstimmen“ im Gropiusbau in Berlin angesehen habe, überkam mich ein merkwürdiges Gefühl. Gegenstimmen. Mir war natürlich klar, was damit gemeint ist. Das Gegen bezieht sich auf die politisch-künstlerische Gesinnung der DDR: Gegen sozialistischen Realismus. Gegen politische Konformität. 2009 stellte bereits die Ausstellung „Ohne Uns“ in Dresden Künstler aus, die den gängigen Karrierewegen der DDR den Rücken gekehrt hatten. Was die Zeiten und Themen betraf, war die Ausstellung relativ systematisch. An unterschiedlichen, teils historisch relevanten Orten konnte sich der Besucher einen lebhaften Eindruck von den oppositionellen Künstlern und ihren Werken verschaffen. Von ihren Ausreiseerlebnissen, den Erfahrungen der inneren Emigration oder ihren grundsätzlichen Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis von Kunst und Macht. Daneben zeigte man im Lichthof des Rathauses Fotos und Dokumente der Zeit, die Aufschluss über die Rahmenbedingungen der Alternativkultur geben sollten. Das gelang alles sehr gut.

Anders die Ausstellung „Gegenstimmen“. Sie verweigert einen Einblick in die Rahmenbedingungen, in historische Kontexte und so weiter. Das war Absicht, man wollte die Werke für sich selbst sprechen lassen. Ihre Relevanz nicht nur aus der Geschichte herleiten, denn das würde die bisher nicht im Kanon etablierte Kunst der DDR auf lange Sicht diffamieren. Doch diese Kontextlosigkeit und die schicken Räume des Gropiusbaus, führten dazu, dass sich die Ausstellung plötzlich wie eine mittelmäßige Jahresausstellung längst vergangener Tage anfühlte. Ja, wie Kraut und Rüben. Was auf den ersten Blick charmant daherkommt, Werke, die sichtlich nicht mit Samthandschuhen angefasst und aufgehängt wurden, wirkt auf den zweiten Blick und im White Cube irgendwie verloren. Zum Teil sogar fehl am Platz. Denn die alternative Haltung ist im Raum nicht spürbar, viele der Werke überzeugen nicht aus sich selbst heraus. Ihnen hätte der Kontext gut getan, dort oder zumindest in einer ähnlichen Umgebung hätten sie ihre ursprüngliche Wirkung, die sicherlich sehr stark war, noch einmal wiederbeleben können.
Und doch wird in dem Kontrast ‚Gropiusbau – DDR-Alternativkunstszene’ etwas sehr deutlich. Dass letztere im Grunde ein interessantes Gegengewicht zu etwas ganz anderem darstellt: der Professionalität.

Als Teenager war es mein größter Traum gewesen, Künstlerin zu werden. Einerseits weil ich es zu können glaubte, andererseits, weil mir der Gedanke gefiel, einen Beruf zu haben, der eigentlich keiner ist. In meiner damaligen Vorstellung war Künstlerin kein Beruf, sondern Berufung, und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass das immer noch sehr viele Menschen so sehen. Dass es sich dabei keinesfalls um einen naiven Gedanken handelte, stellten Familie und Bekannte unter Beweis, die stets im Zweifel darüber waren, ob der Wunsch, Künstlerin zu werden, als Berufswunsch gelten könnte. Oder ob es nicht vielmehr ein Versuch von mir war, nicht arbeiten zu müssen – zumal an meinen künstlerischen Ergüssen ersichtlich war, dass es mir nicht um eine Ausbildung im Handwerklichen ging.
Ein gutes Argument für Kunst als Beruf war daher zunächst nur das dazugehörige Studium. Wenn man studieren musste, um Künstlerin zu werden, so konnte es sich dabei doch nur um etwas „Handfestes“ handeln, wie man zu sagen pflegte.

Aber Kunst konnte nichts Handfestes sein. Ihr Glamour bestand schließlich gerade darin, dass sie kein Beruf war wie jeder andere. Nichts, was man so einfach erlernen konnte. Den Alltag jener Künstler, die ich kannte, stellte ich mir nicht sehr organisiert vor. Ich stellte sie mir in ihren Ateliers vor, sitzend, auf Eingebungen wartend, oder diese umsetzend. Ausstellungen waren hingegen ein Privileg, keine Selbstverständlichkeit. So die Imaginationen meines damaligen Ichs, das die gängigen Topoi und Mythen noch nicht infrage stellte.

Durch die „Gegenstimmen“-Ausstellung wurde ich an jenen Geist der Kunst, der mich damals so fasziniert hatte, erinnert. Es ist der Geist des Unprofessionellen – und mit ihm nicht selten auch der Geist des Gescheiterten – in einem romantischen Sinne. Die dort ausgestellten Arbeiten wurden mit bloßen Händen angefasst – mehrmals – und in alten Atelierwohnungen gelagert, die womöglich noch mit originalem DDR-Mobiliar ausgestattet sind. Arbeiten, die das Gegenteil von Hochglanz waren und sind. Arbeiten, die mit denen einer Siegerkunst, wie sie Wolfgang Ullrich bezeichnet, wenig gemein haben. Und nein, nicht deshalb, weil das, was im Gropiusbau zu sehen ist, Verliererkunst ist. Wer nicht siegen will, kann auch nicht verlieren. Sondern weil Siegerkunst die Aura des Professionellen hinterlässt.

Aber das Gegenteil von dieser – ich nenne sie mal – unprofessionellen Kunst (was die Standards der letzten Jahrzehnte betrifft), ist nicht die Siegerkunst. Nein, das Gegenteil einer Kunst, die weit davon entfernt ist, Beruf zu sein, ist die professionalisierte Kunst. Professionalisierte Kunst ist professionalisiert, weil sie Siegerkunst als professionell empfindet. Klingt kompliziert, ist es aber eigentlich gar nicht.
Siegerkünstler mussten sich einst professionalisieren, um den wachsenden Anfragen eines sich globalisierenden Kunstbetriebs gerecht zu werden. Nur unter professionellen Bedingungen lässt sich Umsatz effektiv steigern. Damit rücken sie formal in die Nähe eines jeden anderen erfolgreichen Großunternehmens. Und Künstler-Sein mehr denn in die Nähe eines richtigen Berufes.

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Was ist also ein professionalisierter Künstler?
Der professionalisierte Künstler betrachtet das Künstler-Sein als Beruf, den man erlernen kann. Sein erklärtes Berufsziel ist es, Siegerkünstler zu werden. Daher orientiert er sich an dessen professioneller Unternehmensführung – auch wenn es den Notwendigkeiten seines eignen, viel kleineren Betriebes zu widersprechen scheint. Der professionalisierte Künstler möchte mit Kunstwerken Geld verdienen, und wenn er es nicht tut, wird er scheitern. Aber er wird nicht im romantischen Sinne scheitern, wie ein Bohemien oder jemand, der sich als verkannt ansieht.
Die Chiffre des beautiful loser, die, weil zu sensibel, zu authentisch, am Leistungszwang der modernen Gesellschaft scheitert, kann von der nachrückenden Generation, so scheint es, nicht mehr gelesen werden“ hat Annette Weisser vor kurzem in der ZEIT geschrieben. Ja, das Chiffre hat ausgedient, aber nur, weil es nie wirklich ein Scheitern war. Jetzt kann man als Künstler erstmals richtig scheitern. So scheitern wie ein Immobilienmakler, der keine Häuser verkauft.

Ohne jedoch dieses potentielle richtige Scheitern im Blick zu behalten, vielleicht sogar mit der Option, im entscheidenden Moment die Gesinnung zu wechseln, strebt der professionalisierte Künstler das Leben als Siegerkünstler an, den er als cool und ehrlich empfindet und das auch ganz offen zugibt. Insgesamt ist ‚Karriere’ für ihn ein positiv besetzter Begriff. Er fühlt sich, was Macht und Reichtum betrifft, längst nicht mehr als Avantgardist. Er möchte nicht mehr dagegen sein, sondern mitspielen.
Dennoch nutzt er das avantgardistische Pathos als Wertsteigerungsstrategie. Bedeutung setzt er gekonnt als Effekt ein, sprich so, dass sie atmosphärisch wahrgenommen werden kann, sich aber jeder Infragestellung entzieht. In der Konzeption seiner Kunstwerke wie in der Effizienz der Herstellung besitzt er größte mögliche Professionalität. Schon früh – im Studium – beginnt er, diese etwa in der Handhabung mit seinen Kunstwerken zur Schau zu stellen. Er kennt sich aus mit Verpackung, Transport, dem Umgang mit (neuen) Medien, Kommunikation und Vermarktung. Letzteres hat ihm während des Studiums eine Expertin im Seminar „Das Künstlerbüro“ beigebracht.

Überhaupt merkt man gerade an Kunsthochschulen, dass der Typ professionalisierter Künstler total im Kommen ist. Das weiß ich, weil ich dort selbst einmal studiert habe.
Man merkt das nicht nur daran, dass man bereits die höchstens mittelmäßigen Arbeiten aus dem ersten Semester ausstellen muss, wobei sich die entscheidenden Fragen um die Präsentation drehen, weil ja das „Werk“ nur so – naja – ist. Ich erinnere mich an eine Szene während der Vorbereitung einer Jahresausstellung. Der Dozent, selbst professionalisierter Künstler, schlug uns ein mögliches Display – nicht für die Werke, sondern für Sitzmöglichkeiten im Raum – vor. Eine Studentin (ok, ich) wendete ein, das Display erinnere stark an solche, die man aus Museen oder schicken Ausstellungsräumen kennt, und fragte, ob es nicht vielleicht etwas overdressed wäre, anlässlich einer Jahresausstellung (des 2. Semesters). Entgegnet wurde mir in etwa so: „Aber genau da wollt ihr doch hin, ins Museum?!“ Zugegeben, das hat mir wirklich imponiert und der Gruppe auch, welche daraufhin energisch nickte. Und in gewisser Weise ist Professionalisierung ja auch eine unabwendbare Entwicklung im Zuge der Hochschulreform. Kunst auf Bachelor und Master? Damit macht man schon eher etwas „Handfestes“. Kunst lernen in Modulen? Fördert vor allem das Zeitmanagement – und damit die Professionalität.

Natürlich haben Bilder wie das vom schönen Scheitern oder vom verkannten Künstler und überhaupt die Idee, dass Subkultur irgendwie cooler ist als etablierte Hochkultur, länger schon keine Verwirklichungen mehr gefunden. Als Vorbild und Inspiration beginnen sie aber erst jetzt zu verschwinden – und werden von der Figur des Siegerkünstlers abgelöst.
Zur Frage, ob es den Künstler als Bohemien noch gibt, habe ich auf Facebook einen Kommentar gelesen, der in etwa so lautete: „Doch, das gibt es noch. Nur nicht in den Räumen institutionalisierter Kunst. Nur nicht dort, wo wir Kunst erwarten würden, nicht dort, wo der Begriff Kunst überhaupt eine Rolle spielt.“ Als Beispiel nannte der Kommentator oder die Kommentatorin einen YouTuber. Vielleicht, mal sehen.

Ich finde, es gibt gute professionalisierte Künstler und Künstlerinnen, und meist sind sie dann gut, wenn sie noch nicht zu professionell sind. Ich finde es auch gut, dass Kunst ein Beruf geworden ist. Einer, den man sogar erlernen kann, wenn man will und ein bisschen Talent hat – im Wirtschaftlichen wie im Künstlerischen. Problematisch wird es nur, wenn Professionalität zu einem höheren Anliegen gerät als inhaltliche und formale Fragen in Bezug auf die Arbeit oder gar als das Treffen einer Aussage.

Die letzte Arbeit in der Ausstellung „Gegenstimmen“ hat mir besonders gut gefallen. Sie ist von Reinhard Zabka, dem Leiter des Lügenmuseums in Radebeul, und eine erweiterte Neuauflage seiner Arbeit „Götzen-Ismen-Fetische“, die erstmals 1985 im Berliner Dom ausgestellt wurde. Im Begleittext erzählt Zabka, wie es dazu kam: „Der evangelische Kunstdienst organisierte im kaiserlichen Treppenhaus Ausstellungen, an Wäscheleinen hingen Grafiken angesagter Künstler. Als ich eingeladen wurde, fragte ich meinen Freund Albrecht Hillemann, ob er mitmachen würde, und entwickelte mit ihm die Rauminszenierung.“
Diese Rauminszenierung besteht aus allerlei Kram, wie man ihn sonst nur von einem skurrilen Trödelhändler kennt, und überall blinkt es und bewegt sich etwas. Hier macht sich etwas selbst zum Thema, das man bei professionalisierter Kunst vermisst: Improvisation.  ◆

2 Antworten zu „Der professionalisierte Künstler”.

  1. Liebe Annekathrin,

    zu meiner Zeit, Mitte Ende der 1980er Jahre, gab es an der Kunsthochschule (HfBK Hamburg) keinerlei Vorstellung von der möglichen Berufsausübung eines Künstlers. Das Studium wurde eher als Entwicklung der eigenen allgemeinmenschlichen Fähigkeiten angesehen. Beuys hat da eine entscheidende Rolle gespielt.

    Auch in der Visuellen Kommunikation, die ja naturgemäss „angewandter“ hätte sein sollen, nicht. Wer dort den Anschein erweckte „Gebrauchsgrafik“ erlernen zu wollen, wurde schärfstens ermahnt.

    In beiden Bereichen galt als schlimmstes Makel „kommerziell“ zu wirken.

    Insofern ist es gut, wenn Professionalisierung stattfindet. Etwa im Sinne, dass man lernt, wie der Mark funktioniert, in dem man sich später verkaufen möchte.

    In Deinem Tweet sprichst Du von Kunst als einem „normalen Beruf“. Ich glaube, dass es da, aller Professionalisierung zum Trotz, an einem Element fehlt. Nämlich, der strikten Orientierung an den Bedürfnissen eines Marktes.

    Was alle Händler und Handwerker tun, die Neigung der Kunden zu ergründen und sie zu befriedigen, das gibt es in der Kunst (immer noch) nicht.

    Ob Sieger- oder Verliererkünstler, nach dem Markt zu schielen, besonders das offensiv zu betreiben, das scheint mir, gilt immer noch als unschicklich.

    Ganz klar, es gibt es. Es wäre naiv zu glauben, solche Top-Seller wie Koons oder Hirst könnten vollkommen an den Wünschen ihrer reichen Sammler vorbei agieren. Trotzdem wird das eher verdeckt gehalten und verschleiert.

    In der Hinsicht ist Kunst noch kein normaler Beruf. Meinst Du nicht auch?

    Herzliche Grüße
    Stefan

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    1. Lieber Stefan, selbstverständlich ist es noch längst nicht soweit, dass sich die meisten Künstler „strikt“ an den Bedürfnissen des Marktes orientieren. Ich denke allerdings schon, dass sich etwa Siegerkünstler die Mechanismen des Marktes genau anschauen und auch darauf reagieren – ob sie dabei auf eine Trend-Welle aufspringen oder gerade gegenteilig handeln sei mal dahin gestellt. Aber du sagst ja auch nicht, dass sie es gar nicht tun, sondern es verschleiern, weil es als „unschicklich“ empfunden wird. Auch hier würde ich sagen, in vielen Milieus und bei vielen Künstlern ist es tatsächlich noch verrufen, marktkonform zu sein. Aber an heutigen Akademien – der 2010er Jahre – konnte ich beobachten, dass es bei einigen „cool“ ist, eine Siegerkünstler-Karriere anzustreben und den Markt im Blick zu haben – und das gänzlich ohne Verschleierung, im Gegenteil: als Inszenierung. Aber was heißt schon „der Markt“. Man beobachtet Galerien, ihre Künstler, ihre Produkte. Man denkt darüber nach – ja, an den Akademien der 2010er – wie man ein Werk möglichst inhaltlich komplex aber trotzdem so gestalten kann, dass es viele interessante Einzelteile gibt, die man unabhängig voneinander verkaufen kann. Bestenfalls sind auch dekorative Stücke dabei, unterschiedliche Käufer haben unterschiedliche Bedürfnisse. Aber Du hast schon recht, es ist in dem Sinne kein „ganz normaler Beruf“, da man als Künstler wohl zumindest noch versucht, seiner irgendwann erarbeiteten künstlerischen Position treu zu bleiben. Liebe Grüße! Annekathrin

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