Food Photography | Eine Zeitreise

„Foodies,“ „Food Porn“ und „Food Spotting“ – überall isst und fotografiert man. Kochbücher erleben seit Jahrzehnten eine Konjunktur und mit ihr auch die Food Photography. Das war aber lange Zeit nicht so. Überhaupt weiß man nur wenig aus der Geschichte dieses fotografischen Genres.

„Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt“, zitiert Clemens Wilmenrod im Fernsehen Hölderlin. Wilmenrod ist 1953 der erste deutsche Fernsehkoch und als Erfinder des Toast Hawaii bekannt.

In seinem TV-Spot „Die gefüllte Erdbeere“ erzählt er, wie ihm der kleine Hohlraum der Erdbeere auffiel, der entsteht, wenn man ihr Grün entfernt. Tagelang habe er überlegt, mit was man eine Erdbeere füllen könnte, als er eines morgens im Bett lag – gerade hatte er noch geträumt – und es ihm wie Schuppen von den Augen fiel: mit einer Mandel. Spätestens dann war klar: Kochen heißt auch kreativ sein. Zum Schöpfer wird der Mensch wenn er träumt, ein Paradigma, das heute ganz selbstverständlich anmutet. Kochkunst ist mehr Kunst, als Kochen.

Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Vorstellung lieferte auch die Fotografie. Es erstaunt daher zunächst, dass erst seit den 20er Jahren regelmäßig Fotografien zur Illustration von Kochbüchern eingesetzt wurden. Ein Blick in die Gartenlaube – dem populärsten Familienmagazin des 19. Jahrhunderts – verrät, dass viel fotografiert wurde, nur kein Essen: Landschaften, Architekturen, Gedenktafeln, Reisen, Mode. Aber auch Romane wurden mit dokumentarischen Fotografien illustriert. Nahrungsmittel und Kochanleitungen blieben hingegen bilderlos, so als wollte man Großmutters Geheimrezept nicht weitersagen.

Eine Koryphäe der Geschichte des Kochbuchs im deutschsprachigen Raum war die Schweizerin Frieda Nietlispach. In den 30er Jahren gab sie zahlreiche Kochbücher heraus, für die zunächst schwarz-weiß-, erstmals aber auch Farbfotografien zum Einsatz kamen. Ihre Leserinnen waren begeistert: „Diese Kochbücher wollen nicht nur das vernunftmäßige Kochen lehren, sondern sie werden auch Freude an der Speisezubereitung bei allen jungen Mädchen wecken und werden so mithelfen, dass das Kochen nicht als Qual und Last empfunden und die Hausfrauenarbeit mehr als bisher gewürdigt wird.“ Waren die hausfraulichen Arbeiten bis dahin also einfach zu trivial, als das sie sich einer Fotografie würdig erwiesen? Ist der Beginn der Food Photography womöglich sogar Zeichen eines frühen emanzipatorischen Aktes, der eine Aufwertung des Kochens zur Folge hatte?
Im Vorwort ihres Hauptwerkes „Das Meisterwerk der Küche“, dessen Titel bereits auf den Werkcharakter der Kunst referiert, beschreibt Nietlispach die Funktion der Fotografien wie folgt: „Die zahlreichen Abbildungen von Menüs und Einzelspeisen wollen nach dieser Richtung Anregung geben. Sie sprechen ohne Worte lebendig über Zusammenstellung und Anrichten der Speisen und sollen das Verständnis für die Kochkunst und die Freude an ihrer Ausübung wecken und steigern.“ Sie benutzt den Topos „Bilder sagen mehr als tausend Worte“, um die Bilder mit einem Bildungsanspruch zu legitimieren. Gleichzeitig aber identifiziert sie eine Funktion, die schnell zur Selbstverständlichkeit werden sollte: Bilder sollen Anregung geben, eine Inspiration sein.

Wie stark das Kochen dieser Zeit mit einem schöpferischen Akt assoziiert wurden, bezeugen auch die zahlreichen Fotografien, auf denen Hände das Essen zubereiten. Sie werden inszeniert wie die Hand Gottes oder die Hände von Malern. Außerdem wurden vor allem kalte Gerichte fotografiert oder solche, die sich aufwärmen ließen. Im Deutschland zwischen zwei Weltkriegen spielte man nicht mit dem Essen und schon gar nicht ließ man es verkommen. Vielleicht wurde Essen auch deshalb erst so spät zum Motiv der Fotografie. War es einfach zu wertvoll?

Heute erlebt die Food Photography eine Konjunktur. Jedem erdenklichen Nahrungsmittel, jeder Saison und jeder Nationalität wurden bereits eigene Kochbücher gewidmet und immer neue Trends bestimmen den Kult um die Ernährung. Dabei sind es die Fotos, die den mit der jeweiligen Küche assoziierten Lifestyle zum Ausdruck bringen. „Du bist, was du isst“: das hat sich eingebrannt. Nicht zuletzt deshalb sind Food Photos auch so beliebt auf sozialen Netzwerken. „Food Porn“ betreibt man, wenn man im Grunde nur noch isst, um zu fotografieren. Mit „Foodspotting“ wurde diesem Bedürfnis eine eigene Plattform gegeben.
Umso erstaunlicher, dass man nur wenig über die Geschichte der Food Photography weiss. Eine Auswahl an Fotografien von 1930 bis heute sollen einen kleinen Einblick gewähren, in eine Geschichte, die sehr vielseitig ist und zum Träumen anregt.

In "Das Meisterwerk der Küche" von 1930 lässt Frieda Nietlispach die schöpferische Hand Mehl zu Teig formen.
In „Das Meisterwerk der Küche“ von 1930 lässt Frieda Nietlispach die schöpferische Hand Mehl zu Teig formen.

 

Kalte Küche sieht hier weniger nach Essen aus als nach einem Mandala - überhaupt wirkt Kurt Löffelbeins "Die Kalte Küche im Feinkostgeschäft" von 1930 eher wie eine Form-Enzyklopädie.
Kalte Küche sieht hier weniger nach Essen aus als nach einem Mandala – überhaupt wirkt Kurt Löffelbeins „Die Kalte Küche im Feinkostgeschäft“ von 1930 eher wie eine Form-Enzyklopädie.
Noch ein Foto des Kochbuchs von Löffelbein. Unter dem Kapitel "Herstellung von verlorenen Eiern" werden aus übrig gebliebenen Eiern kleine Kunstwerke gemacht, hier nach "moderner Art".
Noch ein Foto des Kochbuchs von Löffelbein. Unter dem Kapitel „Herstellung von verlorenen Eiern“ werden aus übrig gebliebenen Eiern kleine Kunstwerke gemacht, hier nach „moderner Art“.
Auf einer frühen Farbfotografie von 1930 wird anstatt des fertigen Gerichtes der gerade erlegte Vogel als Stellvertreter inszeniert.
Auf einer frühen Farbfotografie von 1930 wird anstatt des fertigen Gerichtes der gerade erlegte Vogel als Stellvertreter inszeniert. Hätte ein Foto des richtigen Essens etwa zu lange gedauert, sodass es kalt oder ungenießbar geworden wäre?
Noch ein Klassiker von Nietlispach "Kalte Küche, der Stolz der Hausfrau" von 1931 stellt die Gerichte vor weißem Hintergrund frei.
Noch ein Klassiker von Nietlispach „Kalte Küche, der Stolz der Hausfrau“ von 1931 stellt die Gerichte vor weißem Hintergrund frei.
Hitler war Vegetarier, daher gibt es bereits in den 40er Jahren zahlreiche vegetarische Kochbücher. Ida Klein stellt 1941 in ihrem Kochbuch "Neuzeitliche Küche" "reiche Gedecke der Natur" vor. Es gibt nicht nur Rezepte, sondern auch eine "Einführung in die neuzeitliche Ernährungslehre".
Hitler war Vegetarier, daher gibt es bereits in den 40er Jahren zahlreiche vegetarische Kochbücher. Ida Klein stellt 1941 in ihrem Kochbuch „Neuzeitliche Küche“ „reiche Gedecke der Natur“ vor. Es gibt nicht nur Rezepte, sondern auch eine „Einführung in die neuzeitliche Ernährungslehre“.
Immer mehr Küchengeräte bereichern das Kochen und zu Werbezwecken lassen die Unternehmen eigens Kochbücher anfertigen. Ein solches ist das "Allfix-Kochbuch" von 1954: "Die Petroleumlampe wurde durch die Neon-Leuchte, der Pferdewagen vom Auto überrundet. In der Küche ist es Allfix, die das mühselige, langweilige und veraltete, seit Großmutters Zeiten unveränderte Hantieren überspielt hat." Mit ausgefallenen Ausschnitten fallen auch die Fotografien aus der Reihe.
Immer mehr Küchengeräte bereichern das Kochen, und zu Werbezwecken lassen die Unternehmen eigens Kochbücher anfertigen. Ein solches ist das „Allfix-Kochbuch“ von 1954: „Die Petroleumlampe wurde durch die Neon-Leuchte, der Pferdewagen vom Auto überrundet. In der Küche ist es Allfix, die das mühselige, langweilige und veraltete, seit Großmutters Zeiten unveränderte Hantieren überspielt hat“, heißt es im Vorwort. Mit ausgefallenen Ausschnitten zeigen sich auch die Fotografien sehr avantgardistisch.
Mit recht klassischen aber hellen und farbenfrohen Stillleben versucht das bereits 30 Jahre alte Kochbuch "Das elektrische Kochen" seine Neuauflage aufzuwerten. Es ist 1967 und im Vorwort wird der Aufbau einer Kochplatte erklärt.
Mit recht klassischen, aber hellen und farbenfrohen Stillleben versucht das bereits 30 Jahre alte Kochbuch „Das elektrische Kochen“ seine Neuauflage aufzuwerten. Es ist 1967 und im Vorwort wird der Aufbau einer Kochplatte erklärt.
"Kochkunst, wie sie Mutter noch nicht kannte" ist der Untertitel des 1971 publizierten Kochbuchs "Kiehnle Kochbuch aktuell." Das ist eine endgültige Absage an Großmutters Geheimrezepte die von Generation zu Generation weitergereicht werden. Vielleicht ein avantgardistischer Gestus, vielleicht gibt es aber auch einfach zu viele neue Lebensmittel auf dem Markt. Neu sind dieser Zeit zum Beispiel Melonen und Artischocken, die das Cover zieren. Das Toast lässt man schweben, denn es ist ganz "leicht". Unter jedem Gericht werden Kalorienangaben vermerkt.
„Kochkunst, wie sie Mutter noch nicht kannte“ ist der Untertitel des 1971 publizierten Kochbuchs „Kiehnle Kochbuch aktuell.“ Das ist eine endgültige Absage an Großmutters Geheimrezepte, die von Generation zu Generation weitergereicht werden. Vielleicht ein avantgardistischer Gestus, vielleicht gibt es aber auch einfach zu viele neue Lebensmittel auf dem Markt. Neu sind dieser Zeit zum Beispiel Melonen und Artischocken, die das Cover zieren. Den Toast lässt man schweben, denn es ist ganz „leicht“. Unter jedem Gericht werden Kalorienangaben vermerkt.
Die Illustration eines Eintopfs von 1978: die unverarbeiteten Lebensmittel werden in einem Topf auf einer ionischen Säule präsentiert. In dem Kochbuch "Bon Appétit" von Gisela und Ludwig Nau wird auch auf "ernährungspsychologisch wichtige Fakten hingewiesen", wie es im Vorwort heiß.
Die Illustration eines Eintopfs von 1978: die unverarbeiteten Lebensmittel werden in einem Topf auf einer ionischen Säule präsentiert. In dem Kochbuch „Bon Appétit“ von Gisela und Ludwig Nau wird auch auf „ernährungspsychologisch wichtige Fakten hingewiesen“, wie es im Vorwort heißt.
In den Fachmagazinen der 80er Jahre lässt man der Kreativität freien Lauf. Der Gebrauchsgrafiker Willi Rieser wurde von "Gourmet"1987 beauftragt für das Dessert einen entsprechenden "Rahmen" zu entwerfen. Herausgekommen ist eine "Fata Morgana für Sweeties."
In den Fachmagazinen der 80er Jahre lässt man der Kreativität freien Lauf. Der Gebrauchsgrafiker Willi Rieser wurde von „Gourmet. Das internationaleMagazin für gutes Essen“1987 beauftragt, für das Dessert einen entsprechenden „Rahmen“ zu entwerfen. Herausgekommen ist eine „Fata Morgana für Sweeties.“

 

Mit aufwendigen Stillleben referiert das Kochbuch "Kochen macht Freude" aus den 80er Jahren die Alten Meister.
Mit aufwendigen Stillleben referiert das Kochbuch „Kochen macht Freude“ aus den 80er Jahren die Alten Meister.
Phantasievoll: "Rezepte für die Kleinen" von 1995. Ingrid Bednarsky regt in ihren lustigen Kreationen zu neuen Ideen an.
Phantasievoll: „Rezepte für die Kleinen“ von 1995. Ingrid Bednarsky regt in ihren lustigen Kreationen zu neuen Ideen an.
Ruth Johnsons "Rezepte der Liebe" von 1999 ist ein ganz normales Kochbuch. Nur, das alles in Herzform angerichtet wird.
Das Kochbuch hat sich nun endgültig spezialisiert. Was lange Zeit als Standardwerk der Küche behandelt wurde, in dem mit Anspruch auf Vollständigkeit auch ein Kanon an Grundrezepten mitgeliefert wurde, ist nun ersetzt worden durch eine themenspezifische Auswahl. Hier ein Foto aus dem Kochbuch von Ruth Johnsons „Rezepte der Liebe“ von 1999.
2014: Ein bisschen überbelichtet, der Hintergrund wird leicht unscharf, das Essen steht im Zeichen von Enthaltsamkeit.
2014: Ein bisschen überbelichtet, der Hintergrund wird leicht unscharf, das Essen steht im Zeichen von Enthaltsamkeit und Leichtigkeit.
"Aus Liebe zum Kochen" nennt sich das ambitionierte Projekt von Yvonne Niewerth & Charlotte Schreiber, die "leidenschaftlichen Foodies" Küchenbesuche abstatten. Wieder ein bisschen überbelichtet, wieder mit unscharfen Hintergrund. Da wird selbst der Bürger ganz leicht - ohne zu schweben.
Aus Liebe zum Kochen“ nennt sich das ambitionierte Projekt von Yvonne Niewerth & Charlotte Schreiber, die „leidenschaftlichen Foodies“ Küchenbesuche abstatten. Wieder ein bisschen überbelichtet, wieder mit unscharfen Hintergrund. Da wird selbst der Burger ganz leicht – ohne zu schweben.

 

Eine fundierte und umfangreiche Sammlung an Kochbüchern findet man im virtuellen Kochbuchmuseum.

3 Antworten zu „Food Photography | Eine Zeitreise”.

  1. […] Food­porn ist über­all: Das Foto­gra­fie­ren von Essen hat durch den Kochbuch-Boom, den Auf­stieg des Inter­nets und die All­ge­gen­wär­tig von Digi­tal­ka­me­ras einen enor­men Boom erlebt. Doch das war nicht immer so. Anne­kath­rin blickt bei „So frisch so gut“ auf die Geschichte der Food-Fotografie zurück. So frisch so gut […]

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  2. […] ausfüllen? Anni, weil sie eine tolle (Food-) Fotografin ist, dazu u.a. diesen Tumblr füttert und derartig großartige Texte schreibt und weil sie bestimmt leckere Sachen […]

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  3. […] die im letzten Jahrhundert ein Genre entdeckt oder maßgeblich beeinflusst haben, das als solches bisher nur wenig Beachtung gefunden hat. Wie ist die Lebensmittel-Fotografie entstanden? Und wer hat die ästhetischen Standards […]

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