Dieser Beitrag wurde zuerst auf der ehemaligen Website von art – Das Kunstmagazin veröffentlicht.
Taryn Simon lächelt bescheiden und überzeugt zugleich, während sie durch ihre aktuelle Ausstellung mit dem langen Titel „A soldier is taught to bayonet the enemy and not some undefined abstraction“ im Dresdner Albertinum führt. Sie hat etwas Mustergültiges an sich. Sie ist sowohl smart als auch ernsthaft, ebenso zugänglich wie distanziert. Ihre Statur ist zierlich und dezent, ihre Gestik dagegen impulsiv und bestimmend. Und wenn sie von ihren Arbeiten spricht, ist sie sehr gewissenhaft. Ihre Themen erinnern an die Schauplätze von Thriller-Romanen oder Action-Filmen: ein altes Bildarchiv in Manhattan, die Kunstsammlung der C.I.A, der Ort, an dem nuklearer Müll gespeichert wird, die Bundeskontrollstelle der US-Zollbehörde oder ein Ornithologe namens James Bond.
Sie beginnt, über ihre erste Arbeit zu sprechen. Wir stehen im Salzgassenflügel des Albertinums, an den Wänden hängen großformatige gerahmte Drucke, die auf den ersten Blick wie Collagen aussehen. Auf ihnen sind jeweils Bilder gleichen Motivs zusammengestellt. Sie erinnern mich an Bildersammlungen auf Tumblr oder Pinterest. Dann beginnt Simon zu erzählen: Das besagte Werk, „The Picture Collection“ von 2013, geht auf die gleichnamige Bildersammlung der Mid-Manhattan Library zurück, die 1915 gegründet wurde und etwa 1,29 Millionen Bilder in Form von Drucken, Postkarten oder ausgeschnittenen Abbildungen aus Büchern und Zeitschriften umfasst. Auch Andy Warhol habe die Sammlung häufig genutzt. Sie umfasst des weiteren 12.000 Ordner, die einer jeweiligen Kategorie zugeordnet sind. Darunter sind sowohl Themen wie „Schwimmbecken“ und „Katzen“, als auch „Israel“ und „Palästina“ oder einfach „Feind“ vertreten. Der Suchbegriff „Feind“ war im Jahr 1942 besonders beliebt, da den Soldaten dieser Zeit mit Bildern aus dem Archiv beigebracht werden sollte, das Aussehen der Gegner zu erkennen – damit diese nicht nur irgendeine Abstraktion bajonettierten. Das kann man, so Simon, dem Jahresbericht der Picture Collection entnehmen, wie auch das Zitat für den Ausstellungstitel.
Es ist also allen voran eine Kunst, über die sich gut schreiben lässt. Eine Kunst, mithilfe der man Geschichten und Anekdoten erzählen kann. Eine Kunst, die man sich in den unterschiedlichsten Themenausstellungen und in zahlreichen Power-Point-Präsentationen zu Vorträgen über Medientheorie und Bildkulturen vor dem und im Internetzeitalter vorstellen kann. Nicht zu reden von den aufregenden Führungen durch die Ausstellungen von Simon, bei denen sicher nicht wenige Besucher die Arbeiten zum Anlass nehmen werden, Verschwörungstheorien zu entwickeln.
Über die Gagosian Galerie erhält man eine Liste aller Publikationen und Artikel, in denen ihre Arbeiten besprochen werden. Simon ist 41 Jahre alt und die Liste, deren ältester Eintrag auf 1999 datiert ist, ist bisher 23 Seiten lang und eng bedruckt. Das ist kein Zufall.
Simon ist im positiven Sinne streberhaft. Alles ist durchdacht und genau geplant.
Taryn Simon hat an einer der ältesten und renommiertesten Universitäten in den USA, der Brown University, studiert. Ihre Arbeiten entsprechen dieser Biografie, sind unglaublich reich an Informationen und Wissen. Der Recherche-Aufwand ist jedes Mal enorm hoch, wird aber – nebenbei bemerkt – von Simon nicht mit einer Silbe erwähnt. Vielmehr ist er selbstverständlich und notwendig für ihre Kunst. Denn sie ist im positiven Sinne streberhaft. Alles ist durchdacht und genau geplant. Nichts überlässt Simon dem Zufall oder der Intuition. Für jedes Detail, von der Entstehung der Arbeit über die Präsentation der Werke bis zur Größe der Wandtexte, gibt es eine gute Erklärung.
Kunst ist hier nicht länger das „schmutzige Heilige“, sondern „reine Vernunft“ geworden – um es mit den Worten des Philosophen Robert Pfaller zu sagen. Taryn Simon inszeniert sich nicht als Genie. Ihre Kunst ist keine, an die man glauben muss. Sie ist so klar wie nachvollziehbar und bedarf weder einer Aura noch eines Rätselcharakters, um interessant zu sein.
Am Beispiel ihrer Arbeit „Field Guide to Birds of the West Indies“, in der es kurz gesagt um den Zusammenhang zwischen dem realen und fiktiven James Bond geht, erklärt Simon, welch hoher Konzentration ihre Arbeit bedarf. Der Regisseur Ian Fleming – selbst aktiver Vogelbeobachter – adaptierte den Namen eines amerikanischen Ornithologen für die Hauptfigur seiner Actionfilme. Um diesen Bezug herzustellen, recherchierte Simon sowohl die Publikationen des realen James Bond als auch den Bezug zu Vögeln in der Welt des fiktiven Namensvetters. Hierfür durchsuchte sie sämtliche Filme nach den gefiederten Tieren. Sie erzählt, wie schwer es war, sich nicht von der Action, den Emotionen – der Narration des Filmes – ablenken zu lassen, sondern immer fokussiert zu bleiben. Dazu braucht man Konzentration, Willensstärke – und ich würde sagen: auch ein wenig Strebertum.
Die popkulturell positiv umgedeutete Figur des Strebers ist übrigens der Nerd – in Zeiten von Mark Zuckerberg ein sehr erfolgreicher Charakter. Ja, nehmen wir einmal diese Perspektive ein, dann erscheint das Durchsuchen aller James Bond Filme auf Vögel, um Screenshots von ihnen zu machen, tatsächlich ein bisschen nerdig.
Taryn Simon ist das Gegenteil des längst überkommenen Klischees eines genialischen, expressiven Künstlers. Ihre Fotografien, Filme und Installationen sind eher durch Innovation als durch Intuition gekennzeichnet. Sie tritt als eine intelligente Frau auf, die ein überdurchschnittliches Maß an Leidenschaft für technologische, wissenschaftliche oder philosophische Fragen besitzt, zudem ein Interesse an medialer Popkultur. Ihre Arbeiten können durchaus unter dem Label „artistic research“ geführt werden. Denn sie basieren in gewisser Weise auf den Ergebnissen von Forschung, zum Beispiel auf Archiven, ahmen strukturell die Methoden der Wissenschaft nach, etwa indem sie alternative Lesearten und Ordnungssysteme erschaffen, und sie führen am Ende nicht selten auch tatsächlich zu konkreten Erkenntnissen.
Für die Arbeit „Image Atlas“ hat sie mit dem Programmierer und Netz-Aktivisten Aaron Schwartz zusammengearbeitet. Die Arbeit entstand 2012, ein Jahr vor dessen Suizid. Simon und Schwartz entwickelten eine webbasierte Installation, die es ermöglicht, gleichzeitig die Bildergebnisse selbst gewählter Suchbegriffe in bis zu 57 Ländern zu sehen. Die darin in Erscheinung tretenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten stellen nicht nur die Neutralität von Algorithmen infrage, sondern werden vor allem zu einem hilfreichen Erkenntnisinstrument.
Die Figur des Nerds gewinnt seit Jahren an Glamour
Bei der Führung möchte Taryn Simon nicht aufgezeichnet werden. Vielleicht, weil sie dann zu wenig Kontrolle über Qualität und Inhalt der Aufnahmen besitzt. Immer wieder fragt sie nach, ob denn wirklich niemand aufnehme. Sie ist selbstbeherrscht und perfektionistisch. Ich erinnere mich gut an einen Ausstellungsrundgang mit Werner Büttner vor drei Jahren. Größer kann ein Unterschied kaum sein: Bei Büttner glaubte man noch den Alkohol der vorigen Nacht zu riechen, er lästerte politisch unkorrekt über weibliche Malerinnen, winkte exzentrisch ganze Bildserien ab, einfach, weil er keine Lust hatte, darüber zu reden. Das war einmal cool und provokant, in den Augen mancher vielleicht sogar mondän. Aber ist es das noch immer?