Sherman Selfie Show

Was sonst nur mit aufwendiger Maske und der Ausstattung mit Requisiten (etwa Prothesen) möglich war, lässt sich nun ganz leicht mit der ein oder anderen App oder einem Filter herstellen. Auf Instagram machen nun viele, was Cindy Sherman mit großem Aufwand über mehrere Jahrzehnte hinweg betrieb: verschiedenste Rollen ausprobieren, mit Snapchat-Linsen. Wie reagiert man darauf als Künstlerin? Sherman bleibt unbeeindruckt und macht einfach mit. Sie wechselt versuchsweise und ganz lässig das Medium – und das hat zurecht einen Überraschungseffekt ausgelöst.

Eigentlich haben sehr viele Künstlerinnen und Künstler einen Instagram-Account, das ist wahrlich nichts Besonderes. Trotzdem folgte ein Bericht nach dem anderen, als Cindy Sherman ihren Account von „misterfriedas_mom“ (Mister Frieda heißt ihr Haustier, ein Papagei. Mom sein war, wie man aus Interviews, etwa mit Christoph Amend, weiß, immer ein Wunsch von Sherman, der sich leider nicht erfüllen ließ) in „_cindysherman_“ umbenannte und damit öffentlich machte.

Was ist daran aber spektakulär? Das fragte mich Timo Grampes vom Deutschlandfunk Kultur. Hier Audio, untenstehend die Nacherzählung:

„Spektakulär ist es, weil sie doch lange als eine Person galt, die sehr kamerascheu ist und sich hinter ihren unzähligen Selbstinszenierungen und Rollenspielen versteckt. Immerzu hat man sich gefragt: Wer ist eigentlich die Person hinter diesen Bildern. Das war auch ein Spiel, das zur Thematik ‚Schein versus Sein’ – die jeder Selbstinszenierung zugrunde liegt – dazugehörte.

Außerdem gibt es einen großen Überraschungseffekt, der darin besteht, dass man plötzlich etwa 600 Bilder auf einen Schlag von ihr zu sehen bekommt – während man sonst zum Teil Jahre auf neue Bilder von Sherman warten musste. Einen derartigen Umgang mit Bildern kannte man von ihr noch nicht.“

Und was sieht man für Bilder? Man sieht ihre Hühner und Truthähne, man sieht, was sie isst, wie sie mit einer Freundin eine Fahrradtour macht, wie sie Ausstellungen oder eine Luis Vuitton Show im Louvre besucht.

Außerdem sieht man diverse Selbstportraits, von denen man erstaunlicherweise sofort erkennt, dass sie von Cindy Sherman sind. Anstatt ihrer sonstigen Requisiten – oft verwendet sie Prothesen für ihre Bilder, um Effekte der Entstellung zu erzeugen – nutzt sie nun Apps, die der übliche Instagram-Nutzer zur Aufbesserung seiner Portraits verwendet. Zum Beispiel (und nach eigenen Aussagen) die App Facetune und Perfect 365. Damit kann man in Sekundenschnelle und ohne jedes technische Vorwissen die Haut glätten oder Körperteile verformen. Normalerweise zugunsten des Abgebildeten, zum Beispiel wenn ein breiter Oberarm schlanker geformt werden soll. Sherman nutzt diese Verschönerungswerkzeuge nun, um sich ins Groteske zu überhöhen, mancherorts um sich hässlich zu machen. Die Bilder können damit als Kommentar auf die üblichen Selfies auf Instagram gelesen werden.“ Von denen sie sich hinreichend unterscheiden. Zumindest habe ich solche Bilder noch nicht auf Instagram entdeckt.

Manch einer, zum Beispiel ich, könnte an die Werkserie „Untititled Filmstills“ erinnert werden, die Sherman in den späten 1970er Jahren gemacht hat. „Auch darin hat sie sich mit der Frage beschäftigt, welche Frauenbilder die Massenmedien produziert haben. Während sie aber in der Filmstill-Serie die Vorbilder aus den Filmen eher imitierte, als sie zu verfremden (was natürlich auch eine gewisse Subtilität mit sich brachte, weil man im Grunde nicht genau wusste, ob  es sich um eine Kritik oder eine Verehrung dieser Frauenfiguren handelte), sind die Instagram-Bilder durchwegs grotesk“ – und damit eine relativ offensichtliche Bloßstellung der Verwendung von Verschönerungs-Werkzeugen und Filtern.

„Mein subjektiver Eindruck ist aber auch, dass die Bilder persönlicher sind und Fragen nach Verschönerungsmaßnahmen im Alter stellen. Es gibt zum Beispiel ein Bild, bei dem sie mit einem sogenannten Kopierstempel Altersflecken ihrer Haut immer wieder dupliziert und über ihren Körper verteilt. Im nächsten Bild glättet sie ihre Haut dann derartig, dass sie als Teenager durchgehen könnte.“

Nein, die Bilder muss man nicht sofort als Kunstwerke bezeichnen. Auch wenn vielleicht einige des Accounts so aussehen, als seien sie Bestandteil der Kunstproduktion von Cindy Sherman insgesamt. (Und vielleicht sind sie das auch.) Der Status einzelner Bilder und damit die Frage, ob es sich bei den Selbstinszenierungen (oder Selfies) um Skizzen, Spielereien oder Kunst handelt, ist jedenfalls unklar. „Wir wissen ja nicht, ob die Bilder mit ihrer Galerie abgesprochen sind, ob sie als Teaser für eine kommende Werkserie oder gar Ausstellung dienen, ob sie ausgedruckt werden sollen oder was auch immer.“

Und das ist auch gut so. Denn von der Idee, Kunst artikuliere sich nur in festen, abgeschlossenen, unveränderlichen Werken muss man sich befreien, wenn man einen Instagram-Account als Diskussionsgegenstand hat. „Woher kommt der Anspruch, dass es sich bei diesen Instagram-Shots um Kunstwerke handeln soll? Weil Sherman eine Künstlerin ist? Weil man als Künstlerin immer nur Künstlerin ist – und nicht auch ein Mensch mit Hühnern und einer Vorliebe für asiatisches Essen? In der Reaktion zeigt sich gut die Kollision zwischen einer veralteten Vorstellung der Figur des Künstlers (und auch der Definition von Kunst) und den sozialen Medien.“

Hier gehts zum Beitrag von Deutschlandfunk Kultur.

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