Denkmäler der Popkultur | Der Michael-Jackson-Altar in München
- annekathrin kohout
- 15. Juni 2015
- 5 Min. Lesezeit
Ein Denkmal für einen Popstar? Das hört sich irgendwie befremdlich an. Popstars kommen und gehen – aber ein Denkmal, das bleibt! Wer sich ein Denkmal vorstellt, dem kommen Reiterstandbilder, Mahnmale, Kriegerdenkmale und Triumphbögen in den Sinn. Aber auch Statuen bedeutender Persönlichkeiten – insofern diese eine hinreichende Legitimation besaßen, in ein Denkmal gefasst zu werden. Und diese Legitimation bestand meistens in der Zugehörigkeit zu einer kulturellen und intellektuellen Elite, einer high culture. Das dürfte der erste Grund für die empfundene Widersprüchlichkeit zwischen Pop- und Denkmalkultur sein: die gängige Konnotation der populären Kultur zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie bis heute als Gegenbegriff zur hohen Kultur empfunden wird. Somit ist Popkultur vor dem Hintergrund erinnerungskultureller Fragen nicht selten in die Nähe der Volkskultur geraten – die man gegebenenfalls pflegt, der man aber kein steinernes Denkmal setzt.
Aber Popkultur ist etwas anderes als Volkskultur. Entspringt Volkskultur regionalen oder nationalen ethnischen Prägungen und verpflichtet sich dann dieser Tradition, ist Popkultur geradezu als Gegenteil zu verstehen, da sie zumeist international und dem zeitlichen und modischen Wechsel von Trends unterworfen ist. Darin liegt der zweite Widerspruch von Pop- und Denkmalkultur begründet: Pop ist kurzlebig und unbeständig (man denke an das "One-Hit-Wonder") – wohingegen Denkmäler würdigen sollen, was über die eigene Zeit hinaus als prägend eingeschätzt wird.

Seit jeher gab es angesichts des Personenkultes um politische Figuren bereits Statuen zu Lebzeiten. Man denke hierbei an den Bismarck- oder Stalin-Kult, gegenwärtig finden sich Statuen noch lebender Politiker vor allem in diktatorischen regierten Ländern Asiens oder Afrikas, zum Beispiel den Kult um Kim Jong-Il in Nordkorea. Nun würde man die eben erwähnten Politiker, insbesondere die gegenwärtigen, allerdings weniger als Figuren einer high culture bezeichnen, als sie im popkulturellen, massenmedialen Bereich anzusiedeln. Wieso also fertigt man nicht von Personen eines ähnlichen oder gar größeren Bekanntheitsgrades ebensolche Statuen an? Weil Denkmäler eng mit dem Glaube an die kulturelle oder politische Unsterblichkeit verbunden sind. Ihr kulturelles Leben nach dem physischen Tod ist identitätsstiftend für alle künftigen Generationen – ein Denkmal wird bereits mit dieser Motivation errichtet.
Daher sollte die Entscheidung darüber, wer legitimiert ist, als Denkmal identitätsstiftend in die Gesellschaft zu wirken, keine individuelle Frage sein, sondern vor allem eine kollektive Entscheidung. Denn die Existenz eines Denkmals und seine Erscheinungsform ist ohnehin nicht nur an die (politische) Macht des Dargestellten, sondern auch an das Engagement des Rezipienten/der Fans geknüpft. So starben unzählige in Stein gemeißelte Protagonisten des kulturellen Lebens mit ihren Rezipienten aus, stehen als Untote auf großen Plätzen und in schönen Parkanlagen. Denn die Denkmäler allein sind keine Garantie für Erinnerung, sondern die kulturelle Praxis um sie herum.
In der Religion und im Spirituellen unterscheiden sich die Andachtsformen von den Denkmälern säkularer Mächte. Die Verehrungsstätten früherer Zeiten - und in vielen religiösen Kulturen auch noch heute - waren und sind zumeist Altäre. Altäre sind im Gegensatz zu Denkmälern sowohl Orte religiöser, als auch kultureller Praxis - definieren sich also per se durch die aktive Beteiligung durch ihre Rezipienten.
Hierin bestehen wiederum Parallelen zur Popkultur. Nicht nur, dass auch die Popkultur zahlreiche - insbesondere private - Altäre hervorbrachte: in Kinderzimmern und auf den jeweiligen Grabstätten. Auch die Verehrung der Stars selbst steht jener eines Gottes oftmals in nichts nach. Und in dieser Verehrung – 'Anbetung' – scheint sogar das Prinzip 'Religiosität' in dem Sinne aufzugehen, dass man sich durch das Fan-Sein in eine Kultur einschreibt. Einzig durch die Teilnahme an Etwas, das bedeutend ist, erlangt man auch selbst Bedeutsamkeit. Dadurch wird existenzieller Sinn gestiftet, auf ganz ähnliche Weise, wie ihn sonst die Religion zu stiften vermag.
Bestünde darin nicht ein triftiger Grund, Popstars – die einen ähnlichen Personenkult wie diktatorische Herrscher auszulösen vermögen und von ihren Fans angebetet werden wie Gottheiten – in Stein zu meißeln? Nein, denn das Verhältnis der Fans zu ihren Popstars ist ein privates und intimes – meistens kein gesellschaftliches oder politisches.
Trotzdem gibt es sie, Denkmäler für Popstars. Ein berühmtes Popstar-Denkmal befindet sich in München und ist Michael Jackson gewidmet. Als dieser am 25. Juni 2009 starb, versammelten sich tausende Fans vor dem Krankenhaus und an zahlreichen anderen öffentlichen Orten, die von der einstigen Gegenwart des King of Pops zeugten. Einer dieser Orte ist der Platz vor dem Hotel „Bayrischer Hof“, in dem Michael Jackson bei seinen Aufenthalten in München übernachtet hatte. Nachdem sein Tod öffentlich verkündet wurde, pilgerten seine Fans zu dem Platz vor dem Bayrischen Hof, um ihrem Idol die letzte Ehre zu erweisen. Um noch ein letztes Mal seine Präsenz zu spüren, die ihnen nun verloren zu gehen drohte. Sie brachten Kerzen, Bilder, Briefe und Blumen mit, um Licht zu spenden in diesen dunklen Tagen, um ihr Bedauern zu bekunden. In ihrer Trauer bemächtigten sich die Jackson Fans eines Denkmals vor Ort, das des Renaissancekomponisten Orlando Di Lasso, indem sie es zum Gabentisch umfunktionierten.
Seit 2011 steht nun auf dem Platz vor dem "Bayrischen Hof" ein symbolträchtiges Doppeldenkmal. Denn aus der Statue von Orlando Di Lasso wurde zugleich ein eingetragenes Michael Jackson Denkmal. Und um dieses Denkmal muss sich gekümmert werden, weil es gewissermaßen 'lebendig' ist. Hierzu wurde der Verein gegründet, der sich über die Pflege des Denkmals hinaus auch für Hilfsprojekte unterschiedlichster Art engagiert. Das alles geschieh im Namen des verstorbenen Michael Jacksons. Jeden Tag kommen die Mitglieder des Vereins zum Denkmal, um Blumen zu gießen, Kerzen anzuzünden oder Bilder ab- und aufzuhängen. Vor allem aber, um für Fans, Denkmalbesucher und zufällige Passanten ein Ansprechpartner zu sein. Doch ihr Anliegen ist es nicht nur, an Michael Jackson zu erinnern, wenn es dazu überhaupt eines Denkmals bedarf (etwa über die zahlreichen filmischen Dokumentationen hinaus), sondern insbesondere aufzuklären: Über Nasenoperationen, seine Hautkrankheit und seine Liebe zu Kindern. (Nicht selten auch um zu missionieren.)
Die Altarhaftigkeit des Jackson-Denkmals überrascht nicht, sondern erinnert vielmehr an kleine Gedenkstätten, die temporär an Unfallorten entstehen. Der entscheidende Unterschied ist: der Jackson-Altar ist vorerst nicht temporär. Er hat eine ungeheuere Konstanz und zwar bis heute.
Warum? Weil Michael Jackson von seinen Fans tatsächlich als eine Art Gott, als Jesusfigur, verehrt wurde. Daran ist der Star nicht unbeteiligt, hat er sich doch zu Lebzeiten stets als göttliche Person inszeniert (im Musikvideo zu 'Earth Song' gibt es sogar eine Auferstehung). In Interviews bekundete Jackson immer wieder, Jesus imitieren zu wollen. Hinzu kommen seine klaren und einfachen Botschaften wie Nächstenliebe, das Streben nach Weltfrieden und die Forderung, Verantwortung zu übernehmen, die gewollt unspezifisch, aber abstrakt religiös anmuten. Auch körperlich trat Michael Jackson als nicht-menschliches Medium von Göttlichkeit in Erscheinung: fragil und stark zugleich, farblos und entsprechend keiner Ethnie zuzuordnen und gewissermaßen auch geschlechtslos. Zumindest wurde er genau so wahrgenommen.
Ein gelungenes Denkmal für einen Popstar? Kann es geben. Zugleich wird damit an ein Popzeitalter erinnert, für das noch Stars wie Michael Jackson, David Bowie und Björk standen - letztere bereits in umfangreichen Retrospektiven museal gewürdigt -, das womöglich bereits in der Vergangenheit liegt. Stars werden nur noch selten wie Gottheiten verehrt. Aktuelle Popularitätswellen können vielleicht einen äquivalenten Größenumfang erreichen, aber ihre Stars – insbesondere in den sozialen Medien, auf YouTube oder Instagram – agieren nicht als Könige und Königinnen, die man gewissermaßen auch verehren muss, sondern treten als Unsersgleichen in Erscheinung.
Doch gerade für dieses Popzeitalter der Megastars ist der liebevolle Michael Jackson Altar in München auch ein Denkmal. Es huldigt Michael Jackson als Inkarnation einer bestimmten Popzeit und ist dabei gleichzeitig die konsequente Fortführung massenmedialer Kunst. Denn in den Fans, die eigens wieder zu Pop-Produzenten werden, erfüllt sich Pop auf eine sonderbare Weise. Pop als eine Religion, die es nicht nötig hat, Denkmäler aus Stein zu errichten, denn Gott ist überall – solange man daran glaubt.
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