"Mein Vater fragt mich immer: 'Und was wollte uns die Künstlerin damit sagen?'"
- annekathrin kohout
- 13. Sept. 2017
- 8 Min. Lesezeit
„Was würdest Du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?“ fragt Alice auf dem Weg durch das Wunderland die Grinsekatze. „Das hängt zum größten Teil davon ab, wohin Du möchtest.“ „Ach wohin ist mir eigentlich gleich…“ Und die Grinsekatze: „Dann ist es auch egal, wie Du weitergehst.“ In etwa so entstehen die Bilder von Aneta Kajzer. Zumindest stelle ich es mir so vor. Die Künstlerin malt kleine und große, figürliche und abstrakte, bunte und farblose Bilder – meist ohne Plan. Ihre Arbeiten sind deshalb aber keineswegs willkürlich. Mir ist ein Rätsel, wieso. Um es zu lösen, treffe ich Aneta Kajzer in ihrem aktuellen Atelier, das sie während eines Stipendiums im Künstlerhaus Bethanien in Berlin bewohnt. Ich stelle gerne einfache Fragen. Also frage ich:
Weil ich es schon immer gemacht habe. Ich habe schon immer gezeichnet und gemalt, meine ganze Kindheit hindurch. Im Studium habe ich dann auch andere Sachen gemacht, Objekte, Installationen oder Stop Motion Filme. Ehrlich gesagt kam mir, als ich an der Kunsthochschule war und alles Mögliche ausprobieren konnte, Malerei ein bisschen zu antiquiert vor. Aber irgendwann bin ich doch wieder dazu gekommen, weil ich so gerne Farbe einsetzen wollte. Und weil ich auch gemerkt habe, dass ich mich damit am besten ausdrücken kann.

Interessant ist, dass man wirklich was mit seinen Händen macht. Etwas Gestisches. Und dass man diese Energie, das Tempo, das Unmittelbare am Ende auch in den Bildern nachvollziehen kann. Das hat man bei anderen Medien so nicht. Natürlich kann man auch anders arbeiten, nicht gestisch, aber dann hat man trotzdem immer ein körperliches Gegenüber, in dem sich etwas manifestiert hat.
Naja, es klingt jetzt vielleicht merkwürdig, von Entschleunigung zu reden, da ich sehr schnell male, aber man lebt tatsächlich in einer Bilderflut und ist ständig von unzähligen Bildern umgeben – ich bin ja auch auf Instagram und all den Social Media-Kanälen unterwegs. Ständig scrollt man sich durch die Bilder und wird dabei auch ein bisschen kirre. Aber in der Malerei findet für mich eine Fokussierung statt: auf ein Bild, auf einen Prozess. Die Bilder, die dann rauskommen, sind trotzdem ein Filter von allem, was einen umgibt.
Das ist sehr unterschiedlich. Ich male immer mehrere Bilder gleichzeitig, manchmal mache ich mehrere Bilder an einem Tag fertig, manchmal male ich an einem Bild über mehrere Wochen. Manches übermale ich immer wieder.
Ja, wenn ich nicht zufrieden damit bin, schon. Ich habe jedenfalls keine Hemmungen, ein Bild zu übermalen. Und so kommt es immer mal wieder vor, dass ich ein Bild übermale, von dem ich schon länger dachte, es sei fertig.
Ich habe den Drang nach Neuanfang, immer wieder zu einem neuen Punkt kommen. Natürlich habe ich eine malerische Routine in dem Sinne, dass ich immer damit anfange, mir beispielsweise etwas Bestimmtes anzuziehen, mir meine Farben an zumischen, aber ich strebe nach Neuanfang.

5? Das ist schwierig. Wenn man sich vergleichsweise Conceptual Art anschaut, sind meine Arbeiten natürlich wenig konzeptuell. Oder auch im Vergleich zu anderer Malerei, die sich bestimmte Parameter setzt. Aber dennoch gibt es das Konzept von Ich-wähle-ein-Format und ich-lasse-mich-leiten.
Die ergeben sich immer aus der Malerei heraus. Es kann mal sein, dass man eine Vorstellung hat, aber das passiert nicht oft. Natürlich fließen Dinge ein, mit denen ich mich gerade beschäftigte. Als ich zum Beispiel die Arbeit „Cyborg Lady“ gemacht habe, da habe ich viel Silber verwendet, hatte ich gerade den alten Anime-Film „Ghost in the Shell“ wieder angesehen. Zum ersten Mal hatte ich auch den zweiten Teil angesehen, weil ich den vorher nicht kannte. Und dann habe ich gemalt, mit irgendwas angefangen, dann kam das Silber rein und eine Art Kopf und diese Haare – und dann kommt mir plötzlich irgendwie die Assoziation. Es ist immer davon abhängig, was die Farbe macht, dann sehe ich etwas darin. Das ist, wie wenn man im Stadtraum manchmal glaubt, irgendwo Gesichter oder Figuren zu erkennen. Es ist also immer die direkte Reaktion auf das, was da ist, ein aufgenommener Impuls, der von einer Farbe oder Form ausgeht.
Das ist eine schöne Formulierung. Ich mag Gesichter auch, weil man dadurch einen ambivalenten Ausdruck erzeugen kann. Man fragt sich immer: Ist es lustig? Ist es traurig? Ist es gruselig?
Man kann definitiv sagen, dass es etwas Kindliches ist. Ich male zum Beispiel oft mit meinen Händen. Aber das würden auch Erwachsene machen, wenn sie es weiter verfolgen würden. Die meisten hören ab einem bestimmten Alter auf mit dem Zeichnen und Malen, nach der Schule. Wenn man das weitermachen würde, wäre das vielleicht so wie meine Malerei, was natürlich wiederum schlecht für mich wäre. (lacht)
Ich habe schon als Kind sehr viele Serien geguckt, auch Trickfilmserien und Animes. Als Teenager habe ich dann viele Mangas gelesen und auch selber gezeichnet. Das sind natürlich Bilder, die ich mit mir trage und die mich stark geprägt haben. In meiner Malerei kommen sie dann wieder zum Vorschein. Aber mit den Titeln ist es oft so, dass mich meine Bilder erst im Nachhinein an die Motive erinnern. Bei der Grinsekatze war es auch so: am Ende kam ein lustiges Gesicht heraus, und dann kam mir erst die Assoziation, als ich nach einem Titel gesucht habe.
Man hat ja mit dem Titel immer die Möglichkeit, eine bestimmte Betrachtungsweise nahezulegen – oder eben nicht, je nach dem, was man will. Aber ich denke, die Bilder sind immer noch ambivalent genug, dass es nicht zu eindeutig ist. Soll ich Dir die Grinsekatze zeigen?
Hier: Man sieht schon, dass da ziemlich viel anderes drunter war.
Bei den kleinen Bildern geht man eher nochmal drüber. Bei den großen Bildern ist es öfter ein Wurf, man kann aber in der Größe auch nicht so leicht wirklich fette Schichten erzeugen.
Es geht mir nicht darum, etwas zu Ikonen zu erheben. Was ich jedoch schon als wichtig empfinde, ist der Humor in der Malerei, der oft nicht vorkommt, weil Malerei mit dem Hohen und Schönen assoziiert ist. Da interessiert mich der Kontrast, das Profane, Banale in Malerei umzusetzen. Ich habe auch schon Würste gemalt. Ich habe viele Würste gegessen als Kind, ich komme ja aus Polen.
Das ist nichts, was ich bewusst entschieden habe. Aber natürlich reflektiert die zeitgenössische Kunst immer auch unseren Zeitgeist. Wenn sie das nicht tun würde, wäre sie ja nicht interessant, sondern irgendwie alt. Warum sollte man es dann noch machen, was hätte das noch für eine Relevanz? Deshalb spielt das schon eine Rolle. Ich mache das zwar nicht bewusst, aber das ist ein selbstverständlicher Teil von mir und eben auch ganz vielen anderen Menschen. Aber ich finde es auch gut, wenn die Leute verschiedene Sachen in meinen Bildern sehen. Es gibt Arbeiten, da sagt mir einer: „Hey, das sieht aus wie Sonic“, diese Computerspielfigur. Und ich habe da überhaupt nicht dran gedacht. Weder als ich es gemacht habe, noch danach. Und dann kam jemand anderes und sagt „Hey, das ist doch ein Skorpion.“ Und ein dritter sieht einen riesigen Penis darin. Diese Mehrdeutigkeit zu haben finde ich gut.
Nein, ich finde es wirklich interessant, was die verschiedenen Menschen darin sehen, auch was ein Nicht-Kunstpublikum darin sieht.
Mein Vater fragt mich immer: „Und was wollte uns die Künstlerin damit sagen?“ Dann rolle ich mit den Augen und versuche ihm ein bisschen was zu erklären, wie ich arbeite und was ich mache, aber das ist natürlich immer schwierig nachzuvollziehen. Ich hatte kürzlich bei den Open Studios hier im Künstlerhaus Bethanien Freunde aus Berlin eingeladen, Bekannte, die nichts mit Kunst zu tun haben. Sie hatten auch ganz andere Assoziationen als ich, konnten aber trotzdem was damit anfangen. Ein Bild, das hier hing und das sie als das beste eingeschätzt hatten, war am Ende sogar eines, was jemand aus dem Kunstbetrieb kaufen wollte. Ich fand es ganz interessant zu sehen, dass es offenbar Parameter oder ein Gefühl gibt, so dass Menschen gleichermaßen angesprochen werden, was natürlich bei Malerei einfacher zu erzeugen ist, weil sie direkter ist. Wenn man Leute aus dem Nicht-Kunstkontext in eine einstündige Videoarbeit setzt, dann muss erstmal der Schritt überwunden werden, sich überhaupt darauf einzulassen. Aber ein Bild ist direkt da und präsent.
Beides. Ich lade auch auf Instagram Arbeiten von mir im Atelier hoch. Wenn ich Ausstellungen mache, achte ich natürlich darauf, dass es einen Kunstrahmen gibt, ob das ein Off-Space ist oder eine Institution. Aber das liegt daran, dass man eine Professionalisierung erreichen will, wenn man beruflich Kunst macht. Man will es schließlich schaffen und sich etablieren, auch auf dem Markt, weil man vorwärtskommen will.

Wenn das Museum sie nicht ins Depot sperrt und sie zu sehen sind: im Museum.
10, naja ich meine ‚ästhetisch’ … das wird ja bei den meisten mit ‚schön’ gleichgesetzt und das möchte ich natürlich nicht. Meine Arbeiten sollen nicht schön sein. Ich finde eher den Kontrast gut, zwischen plump, schön, hässlich, und ich mache auch immer Farbkombinationen, die ein bisschen eklig sind, nicht als schön gelten, aber ein gutes Bild ergeben.
Das heißt erst einmal, dass ich Feministin bin. Dass ich mich so bezeichnen würde und dass es ein politischer Background für mich ist, in dem ich mich bewege.
Das kann man nicht trennen, weil meine politische Haltung natürlich in das einfließt, was ich mache. Aber trotzdem finde ich es als Label für meine Kunst schwierig. Weil man dem Bild ziemlich viel zumutet, es hat ja keine klare politische Botschaft. Wenn ich das wollen würde, könnte ich irgendwelche politischen Botschaften auf die Bilder schreiben…
Ich würde nicht sagen, dass es mich stört, wenn jemand damit arbeitet. Es gibt viele Künstlerinnen, die direkter sind. Aber das ist nicht das, was mich in meinem Medium interessiert. Mich interessiert erst einmal, Bilder zu schaffen, die spannend sind – und zwar im Medium der Malerei, mit Farbe und Form und Kontrast und Geste und dem ganzen Spiel. Aber trotzdem ist es natürlich so, dass ich hoffe, dass meine politische Haltung auch mit rüberkommt. Ich fand es zum Beispiel interessant, das einer der Maler, der in der Jury für das Stipendium saß, und den ich danach kennengelernt habe, sagte, meine Arbeiten seien eine starke feministische Position. Dabei kannte er mich nicht als Person, sondern nur meine Bilder. Es gibt also schon Möglichkeiten, eine feministische Botschaft zu transportieren, ohne dass es das erste ist, was man sieht. Und allein wenn man sich als Malerin hinstellt und große Bilder macht: dann ist das immer noch öfter bei Männern als bei Frauen der Fall und somit ein Statement.
Ja, klar, es gibt auch andere Frauen, die groß malen, ich bin da keine Ausnahme. Das ist natürlich oft auch ein Atelierplatz-Problem. Aber es gibt die Tradition des abstrakten Expressionismus in den USA oder die jungen Wilden in den 1980ern. Also die Tradition des gestischen, groben, schnellen Malens auf riesige Leinwände und in gewisser Weise ist das ein Habitus, den ich auch in meiner Malerei entwickelt habe.
Ja, meine Arbeiten kommen aus einer Tradition heraus, die eher männlich dominiert ist. Und dass man es sich selbstverständlich herausnehmen kann, als Frau genauso zu malen, war lange Zeit vielleicht schwieriger möglich. Es gab zwar Frauen in den Bewegungen, aber die sieht man bis heute nicht so oft. Ich war letzten Herbst in London bei einer Ausstellung der Abstrakten Expressionisten und dort war einmal Joan Mitchell und Helen Frankenthaler vertreten – und das war es dann.
Ja, das mit dem kollektiven Arbeiten finde ich definitiv spannend. Ich bin selber in einem Künstlerinnenkollektiv, das OrgaOrga Kollektiv, das ich mit Freundinnen entwickelt habe. Wir haben zusammen einen Offspace in Mainz und auch zwei Festivals mit feministischen Schwerpunkten dort veranstaltet. Die eine Ausstellung hieß „Organized Orgasms“, da ging es um Sexualität und Körper. Und die letzte hieß „TellTales“ und da ging es um narrative Erzählungen, die uns eher verborgen bleiben. Natürlich haben wir dafür genau überlegt, welchen Stimmen wir Gehör verschaffen, und versucht, über diese Praxis auch andere Frauen zu unterstützen.

Zu empowern. Ich denke, es ist besser, etwas ins Positive zu verändern. Wobei ich das früher anders gesehen habe und immer versucht habe, Leute zu belehren und ihnen Predigten zu halten, was alles schiefläuft. Jetzt würde ich es anders machen und die Menschen eher bestärken.
Ich kann das sehr gut verstehen und sehe das auch oft. Man sieht generell wenige Malerei-Ausstellungen – und seit ich hier in Berlin bin, war ich auf sehr vielen Ausstellungen. Das ist oft Malerei im Kontext. Mir reicht es wirklich, einfach die Bilder anzuschauen, sie tragen doch ihre Botschaft in sich. Es wäre schön, wenn man sich das wieder traut zu sagen: Das sind die Bilder. Ich glaube, das ist ein Selbstbewusstsein, das wieder dringend nötig ist.

— Aneta Kajzer ist aktuell Stipendiatin der Künstlermarke Winsor & Newton am Künstlerhaus Bethanien. Mehr Informationen unter: https://www.anetakajzer.de/
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