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Jetzt neu: Podcast! Folge 1 – Wahlbekenntnisse

Ich habe schon lange darüber nachgedacht, jetzt ist er endlich realisiert: der Sofrischsogut-Podacst! In Ergänzung zum Blog wird es in loser Folge nun auch Audio-Beiträge geben. Folge 1: Wahlbekenntnisse. (Untenstehend gibt es zusätzlich den Text – für all jene, die das Lesen bevorzugen.)   Wahlbekenntnisse Ich bin nicht unfroh darüber, dass er endlich vorbei ist: der Wahlkampf. Der Wahlkampf und das überbordende Selbstbewusstsein der vielen Wähler, die in den sozialen Netzwerken, auf Facebook und Twitter, stolz ihre Wahlomat-Ergebnisse teilen, vermeintlich künstlerische Poster mit Sprüchen zur Wahl von Wolfgang Tillmans posten, „Geht wählen!“ in den digitalen Raum posaunen, als stünde ihnen eine Horde ausdrucksloser Nichtwähler gegenüber. Was, wie wir uns seit der Einführung des Begriffs „Filterbubble“ stets vergewissern, nicht der Fall ist. Und glaubt man, endlich das Schlimmste hinter sich gelassen zu haben, wird mit noch mehr Fleiß und Ehrgeiz auch noch der Ausgang der Wahl kommentiert. Dabei werden zum Beispiel die Ergebnisse von Bundesländern, Städten und Wahlbezirken zum Anlass genommen, der großen und weiten Internetöffentlichkeit zu beweisen, dass ganz viele aus der Nachbarschaft die Linke und die Grünen gewählt haben – aber kaum jemand die AfD.

Ich kann nicht leugnen, dass auch ich mich hin und wieder, in meinem stillen Kämmerlein sitzend, angestrahlt vom Computer-Bildschirm, zu Kommentaren oder Statements aufgefordert fühle. Oder zumindest verführt. Man bekommt schon Lust, auch etwas zu posten, wenn man die vielen Bekenntnisse zur Kenntnis nimmt. Zu widersprechen, wenn Dummheiten auf die Timeline oder das Dashboard niederprasseln. Bisher habe ich es allerdings weitestgehend geschafft, mich nicht von dieser Triebsteuerung hinreißen zu lassen. Manchmal, aber nur manchmal, schreibe ich Privatnachrichten an Freunde, um von meinem Unmut oder meinem Stolz zu berichten und dem Bekenntnisdruck Luft zu machen. Bekenntnisdruck, ja das empfinde ich. Und er ist ja auch nicht selbstverschuldet, wird man doch stets von Facebook und Co. dazu aufgefordert: Teile Dein Wahlomatergebnis auf Facebook! Es sind neue Rahmen vorhanden – statte Dein Profilbild mit einem politischen Statement aus! Zugegeben: Ich habe es heimlich ausprobiert, man will ja doch mal erfahren, wie so ein Profilbild mit Wahlspruch und Parteien-Logos aussieht. Mein Bild mit der Unterschrift: „Denken wir neu.“ FDP-Plakate enden ja häufig mit einem Punkt, was der Messenger-Generation den Ernst der Lage vor Augen führen soll: Denken wir neu – Punkt. Digital First – Punkt. Bedenken Second – Punkt. Der Treibstoff der Zukunft ist Mut – Punkt. Ungeduld ist auch eine Tugend – Punkt.

Zurück zu den Profilbildern. Da gibt es wirklich eine ganze Reihe von Möglichkeiten, zum Beispiel mein Profilbild mit dem Slogan: „CDU – Voll Muttiviert!“ Insgesamt waren die Wahlsprüche der CDU ja diesmal mehr schlecht als recht („Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“ – und weiter??). Oder wie wäre es mit meinem Profilbild und der Unterschrift „Herz, Hirn, Haltung. Das ist Grün.“ Oder als Akronym: HHH . Ebenso war es möglich, sich zur AfD zu bekennen, was in meiner Filterbubble selbstverständlich nicht vorkam: „Hol Dir Dein Land zurück – roter Pfeil – Alternative für Deutschland.“ Für alle, die noch immer darüber nachdenken, warum Alexander Gauland bei der Pressekonferenz nach den ersten Hochrechnungen ausrief: „Wir werden uns unser Land zurück holen!“ Hier ist die Antwort: Weil es bereits ein Wahlspruch war. Wenn ich mich richtig erinnere, hat man sich vor den Sozialen Medien eher geniert, eine Antwort zu geben, wenn jemand fragte: „Und, wen wirst du wählen?“ Das war irgendwie unanständig, weil die Wahlentscheidung als etwas sehr Persönliches, vielleicht sogar Intimes galt. Micaela Schäfer hat, wenn man so möchte, an diese Bedeutung erinnert, als sie ein Foto von sich bei Instagram einstellte, auf dem sie nur mit einem String-Tanga bekleidet auf ihrem Stimmzettel das Kreuz der Zweitstimme bei der CDU setzt.

Und es herrschte einst wohl zurecht die Einschätzung vor, dass es entweder Einfluss auf andere Menschen nehmen oder zur Lüge motivieren würde, wenn man seine Wahlentscheidung öffentlich mitteilt. Heutzutage dient die Wahlentscheidung hingegen der Repräsentation. Oder was sonst möchte mir ein Online-Bekannter oder eine Online-Bekannte mitteilen, wenn er oder sie stolz vom Wahlomat-Ergebnis berichtet, an dessen Spitze – welch ein Zufall – Die Grünen, Die Partei und Die Linke stehen? Was möchte er oder sie mitteilen, wenn der hohe Prozentsatz der Grünen oder Linken oder der CDU in der eigenen Straße zum Anlass für ein Posting wird? Doch nur, dass er oder sie alles richtig gemacht hat in seinem oder ihrem Leben? Wer sich einst ein teures Auto vors Haus stellte, postet jetzt die Wahlergebnisse seines Wohnorts auf Facebook, um zu demonstrieren, zu welchem gesellschaftlichen Milieu er oder sie gehört. Und wenn man dann die häufig in den Medien reproduzierte Darstellung hinzunimmt, dass FDP, CDU, Grüne vermeintlich nur von klugen und wohlhabenden Menschen gewählt werden, während die AfD vermeintlich nur von dummen, abgehängten und sozial schwachen Menschen ihre Stimme bekommt, kann man darin die These, dass Wahlergebnisse zu Zwecken der Repräsentation verwendet werden, nur bestätigt sehen. Politik und eine spezielle Haltung sind mittlerweile sogar von noch größerer Bedeutung als Konsumprodukte („Mein Haus, mein Auto, meine Yacht“), insbesondere, wenn es darum geht, den eigenen gesellschaftlichen Status anzuzeigen. Das muss unbedingt zu Kenntnis genommen und mit einer gewissen Skepsis versehen werden. Denn in jedem Bekenntnis steckt zugleich eine Diffamierung derer, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht gleicher Meinung sind oder sein können. Die Bundestagswahl 2017 war jedenfalls ein Fest der Bekenntnisse.

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