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Ich bin eine Skipperin

Ich bin eine Skipperin. Nichts entspricht mir so sehr wie das Skippen: Ich bin einerseits neugierig und wissbegierig, will alles sehen, über das geredet wird, und kann kaum einer Netflix-Empfehlung widerstehen, die auf neunzigprozentiger Übereinstimmung mit meinem Filmgeschmack beruht. Andererseits bin ich ungeduldig, besitze nur eine geringe Aufmerksamkeitsspanne und bin deshalb sehr schnell gelangweilt. Wahrscheinlich geht es vielen so wie mir, ich nehme an, ein wenig erziehen die Sozialen Medien sogar dazu, bieten sie doch stets ein Zuviel an Information. Mit der Verarbeitung MUSS demnach auch eine gewisse Ökonomie einhergehen, will man nicht verrückt werden. Ja, Skippen ist Selbstermächtigung in einer von Inhalten (wie man so gerne sagt:) „überfluteten“ Welt. Das Wetter ist nicht schlecht, wir sind nur (noch) völlig falsch angezogen! Als ich noch nicht skippen konnte, konnte ich nie einen Film oder eine Serie ansehen, ohne dabei zur gleichen Zeit mindestens zwei anderen Tätigkeiten nachzugehen: zum Beispiel essen und automatisiert auf dem Smartphone alle Social-Media-Kanäle durchscrollen. Oder: Texte überfliegen (auch eine Form von Skippen!) und Nägel lackieren. Eine meiner liebsten und häufigsten Beschäftigungskombinationen ist allerdings Folgende, außerdem wärmstens (im wahrsten Sinne des Wortes) zu empfehlen: ein Schaumbad nehmen, eine Serie auf dem Tablet (wahlweise Smartphone) ansehen und auf dem PC (alles ist auf einer Ablage platziert) diverse Onlineshops durchforsten. Seit es die Möglichkeit des Skippens gibt, schaue ich Filme und Serien nicht mehr nebenbei, sondern zwischendurch. Skippen heißt überspringen. Es gibt so viel Vorhersehbares in der Welt der Unterhaltung, und es gibt mir die größte Befriedigung, das, was ich ohnehin schon weiß, auch überspringen zu können. Jetzt mag vielleicht der eine oder die andere einwenden, dass man beim Skippen doch sicher auch sehr viel verpasst, Hinweise auf den weiteren Verlauf einer Geschichte zum Beispiel. Oder eine bestimmte Seherfahrung, die sich nur einstellt, wenn man die Langwierigkeit und Langweiligkeit auch erträgt. Überhaupt: Wertvolle Details – seien sie inhaltlicher oder rein ästhetischer Natur – könnten dadurch doch aus dem Blickfeld geraten und das Filmvergnügen deutlich verringern! Aber das ist nicht so. Ich spreche aus Erfahrung. Hier kommt die ideale Skip-Zeitspanne ins Spiel; sie beträgt zehn bis fünfzehn Sekunden. Sie können sich nicht vorstellen, wie wenig man doch in zehn bis fünfzehn Sekunden verpasst! Im Allgemeinen finde ich die Angst, etwas zu verpassen, völlig irrsinnig. Wo fängt man denn da an und wo hört das auf? Trinke ich meinen Kaffee mit Milch und Zucker, verpasse ich eben die Erfahrung des reinen bitteren Genusses – der für ebenjene Sorte vorgesehen war.

Ich liebe den Fortschritt – und Skippen ist fortschrittlich. Zuschauen ist rückschrittlich. Passives Schauen war angemessen, als Filme und Serien überwiegend der allabendlichen Unterhaltung dienten. Aber das ist immer weniger der Fall. Wlan ist günstig oder kann an vielen öffentlichen Orten kostenfrei per Hotspot bezogen werden. Smartphones haben mittlerweile eine fantastische Bildschirmauflösung, die kein Defizit gegenüber dem Flatscreen darstellt, sondern – im Gegenteil – eine nie da gewesene Intimität zwischen einem selbst und dem Angesehenen erzeugt. All das führt dazu, dass wir öfter, manche Menschen permanent, auf YouTube, Netflix, Prime, Instagram etc. zugreifen: weil wir es können. Ein erster großer Fortschritt im Serienschauen erfolgte im März 2017. Netflix führte die großartige Funktion ein, dass man die Intros einer Folge überspringen kann („Skip Intro“), und es gibt meiner Meinung nach keinen nachvollziehbaren Grund, beim Binge Watching das Intro jedes Mal mitanzusehen. Natürlich hat das Intro eine wichtige Funktion, nämlich den Zuschauer wieder in seinem Serienzuhause willkommen zu heißen. Das war, als man es verlassen musste, weil die nächste Folge erst eine Woche später ausgestrahlt wurde, auch notwendig. Und man braucht es weiterhin, weil ja niemand zum Beispiel sieben Staffeln an einem Tag schaffen kann. Aber wenn man sich gerade im Seriengebäude befindet und es für – sagen wir – drei, fünf, zehn Folgen nicht verlässt, braucht es keine Erinnerung daran, wo man sich aufhält.

Während „Skip Intro“ eine Reaktion auf das durch Streamingdienste ermöglichte Binge Watching war, sind die zehn- oder fünfzehnsekündigen Skip-Funktionen der Player die Reaktion auf eine Entwicklung, die in eine völlig entgegengesetzte Richtung geht: Die Skip-Funktion zeugt davon, dass immer mehr Serien und Filme zwischendurch angesehen werden – und nicht nur zu ausgewählten (Frei-)zeiten, etwa am Abend. Folgendes kann durchaus vorkommen: Man fährt eine halbe Stunde Straßenbahn, die Folge einer bestimmten Serie dauert aber 40 Minuten. Da möchte man doch unbedingt noch sehen, wie die Folge ausgeht, und deshalb – der Skip-Funktion sei dank! – klickt man sich eben schnell noch ans Ende. Skippen funktioniert hervorragend, das muss vermutlich noch erwähnt werden. Kein lästiges Buffering – wie es beim Weiterklicken im Zeitstrahl entstehen würde. Außerdem, und das ist entscheidend, erfolgt das Weiterklicken exakt, nicht eine Szene zu spät oder zu früh. In Serien im Häppchenformat sehe ich deshalb auch die Zukunft. Ein derzeit herausragendes Beispiel ist die Webserie DRUCK, eine deutsche Adaption der norwegischen Serie SKAM. Auf dem YouTube-Profil von DRUCK werden jeden Tag bis zu zwei ein- bis fünfminütige Clips veröffentlicht, hinzu kommen verschiedene Einträge und Storys, die auf sämtlichen Profilen der Protagonisten der Serie gepostet werden, sowie – unter anderem – Screenshots von den Chats der Serienfiguren, die auf einem eigens dafür angelegten Profil erscheinen. Die Narration der Serie wird dadurch aus den verschiedensten Perspektiven ergänzt, noch viel wichtiger ist aber, dass die Serie durch viele kleine Bruchstücke und Clips den Alltag der- oder desjenigen, der sie sieht, beinahe natürlich ergänzt. Die Protagonisten und ihre Postings gliedern sich ganz selbstverständlich in die der echten Freunde ein. Auch die professionellen Clips der Serie werden nicht im Vorabendprogramm angesehen, sondern zwischendurch, in der Schulpause, beim Warten auf den Bus und dergleichen. Freilich ist diese Art des Serienschauens noch nicht üblich; deshalb wird jede Woche aus den einzelnen Clips eine zehn- bis dreißigminütige Folge zusammengeschnitten. Ich bin mir aber sicher, dass das Zwischendurchschauen sich als Rezeptionsweise genauso etablieren wird wie das Nebenbeischauen (im Zeitfenster, das für Arbeit und Alltagserledigungen vorgesehen ist) und das Gemütlich-am-Abend-Schauen (im Zeitfenster, das für Freizeit und Erholung vorgesehen ist). Skippen ist vergleichbar mit Scrollen: Beides sind Aktivitäten in einer eigentlich passiven Situation. Im Feed wird einfach etwas angezeigt, worauf man in dem Moment, in dem die Postings erscheinen, keinen Einfluss nehmen kann; Filme und Serien versetzten bekanntermaßen in die gleiche passive Situation des Zuschauens. Insofern ist Skippen wie Scrollen, nur in der Horizontalen: Man nimmt aktiv an einer passiven Situation teil. Aber auf eine Art ist Skippen noch viel selbstbestimmter. Denn durch die fließenden Übergänge beim Scrollen wird eine stärkere Sog-Wirkung erzielt, was beim abgehakten Skippen nicht passieren kann. Wenn ich skippe, fühle ich mich stärker, als wenn ich scrolle. Beim Scrollen fühle ich immer auch das Ausgeliefertsein, nicht jedoch beim Skippen, da fühle ich mich zielorientiert. Natürlich ist es faktisch auch zielorientierter, weil die meisten Serien (Tendenz allerdings sinkend!) dann doch irgendwann zu einem Ende kommen. Eines kann ich aber trotzdem mit Sicherheit sagen, ich würde mich keine stolze Scrollerin nennen, wohl aber eine stolze Skipperin.

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