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Die Selbstinszenierung vor Denkmälern & Kunstwerken | Neue Zauberinstrumente

Autorenbild: annekathrin kohoutannekathrin kohout

“, ärgert sich Thomas Bernhard in seiner Komödie „Alte Meister“, die von einem grimmigen Kunstkritiker handelt, der für die „Times“ arbeitet. Ebenso grimmig, jedoch kein Protagonist eines Romans von Bernhard, ist Joachim Riedl, der 1990 für das SZ Magazin tätig war: „.“ In seinem Artikel „Brauchen wir eigentlich Museen?“ empört sich Riedl über die Anbetung der Museen, die er mit Kathedralen vergleicht. Museen seien eine pervertierte Form einstiger Gedenkkultur und Ausdruck eines nicht adäquaten Umgangs mit Vergangenheit. Die Nazi-Geschichte in Museumsshops, auf bunten Postkarten und Neuinszenierung? Das kann Riedl beim besten Willen nicht gutheißen. Man möchte sich gar nicht vorstellen, welchen Eindruck wohl der Anblick der zahlreichen Selbstinszenierungen vor Museumsexponaten oder Denkmälern bei ihm hinterlassen würde, die gegenwärtig im Internet kursieren. Ein Kopfstand, mitten im Berliner Holocaust Mahnmal; vor einer russischen Gedenktafel reiten Junggesellinnen auf der Braut und die Sängerin Beyoncé Knowles fühlt sich im Louvre von der Haltung einer Statue an das Selfie erinnert. Das Andenken kann kaum grausamer sein. Man könnte es als Blasphemie empfinden, würden Museen immer noch angebetet werden wie einst die Kathedralen. Doch inwiefern fordern die Denkmale und Kunstobjekte überhaupt dazu auf, ihnen zu gedenken oder über sie nachzudenken? Während beispielsweise Grabinschriften wie „Et in Arcadia ego“ - Ich (der Tod) bin auch in Arkadien - dem toten Stein in den Mund gelegt wurde, damit dieser dem lebenden Leser eine Botschaft ist, forderte die Repräsentations- und Abstraktionskraft seit spätestens dem 18. Jahrhundert immer größer werdende Interpretationsleistungen. Für das 20. Jahrhundert konstatiert Martin Warnke in seinem Aufsatz „Vom Denkmal zur Landmarke“: „“ Und können somit die einstigen Funktionen des Denkmals nicht erfüllen, die aber zugleich auch nicht mehr von ihm erwartet werden.

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Vielmehr erwartet man eine Fläche, die bespielt werden kann. Eigene Interpretationen setzen sich an die Stelle früherer Inhalte, mit denen zwar manchmal noch korrespondiert wird, in den meisten Beispielen jedoch die Unkenntnis über die ursprüngliche Bedeutung zu uneingeschränkter Kreativität führt. Eine rauchende Grabfigur? Ist womöglich respektlos, führt aber auch nur ein episodenhaftes Dasein, bevor es wieder überschrieben wird mit Ausdrucksweisen anderer Interpretationen. In den Selbstinszenierungen mit Denkmälern zeigt sich, wie selbst etwas betont Materielles ephemer erscheinen kann. Sie sind dadurch Teil einer Kultur geworden, die gerne immateriell bleibt, zu Um- und Neucodierungen neigt und eher mit der Gegenwart denn mit der Vergangenheit liebäugelt. In Anlehnung an Walter Benjamin bemängelt Riedl 1990, dass die Kunstwerke im Museum nicht mehr leben würden, sondern in „Kulturbunkern manifestiert“ seien. Durch den Louvre-Besuch von Beyoncé sind viele Werke auf Reisen gegangen. Wieder in der Welt, lebendig, haben sie allerdings ihren Stellenwert verloren: den eines Kunstwerkes. Sie dienen lediglich als Referenz zu dem, was einst unter Kunstwerken verstanden wurde, längst aber nur noch Mittel zum Zweck ist: ein Hilfsmittel der Kommunikation. Die Selbstinszenierungen mit Denkmälern zeigen manchmal ein Statement, oft einen Witz oder sind Zeichen einer Unbeholfenheit im Kontakt mit einem Objekt, das als bedeutend gilt, weil es in Stein geschlagen oder im musealen Kontext zu sehen ist. Doch all diese Verhaltensweisen sind auch Ausdruck eines nahezu primitiven Aneignungsprozesses, der unmittelbar ist. Auf etwas Gegebenes wird reagiert, mit den eigenen Mitteln, meistens der Handy-Kamera. Die Unmittelbarkeit zeigt sich in den häufig auftauchenden formalen Bezügen zwischen Denkmal und Fotografierten. Die Bilder zeigen das Denkmal als Teil der umgebenden Landschaft, mit der interagiert wird und heben es damit auf die gleiche Bedeutungsebene wie das süße Kätzchen, das sich sonst im Hintergrund des Selfies tummelt. In diesem Sinne kann die eingangs von Riedl zitierte Überschrift und Frage „Brauchen wir eigentlich Museen?“ heute mit einem „ja“ beantwortet werden. Nur in einer gänzlich neuen Funktion: nicht mehr des Erinnern und Gedenkens wegen, sondern der Inspiration und Anregung zu neuen Ausdrucksweisen. „“, stellt Riedl wehmütig fest. Eigentlich darf er sich jetzt freuen: die Zauberinstrumente sind zurückgekehrt. Manchmal spielen sie noch ehrwürdige Töne, meistens aber völlig neu interpretiert.

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