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Die Prosa der Bilder Teil 2 (Das magische Potential)

Der folgende Beitrag wurde publiziert in “Der Greif – A Process”. Wie die Bilder untereinander einer bestimmten Ordnung verpflichtet sind, so spricht man auch den Bildern selbst eine immanente Ordnung zu. Bilder und auch Kunstwerke galten so lange Zeit als ein greifbarer und erschließbarer Gegenstand menschlichen Wissens oder wissenschaftlicher Betrachtung. Auch das 20. Jahrhundert blieb dieser Idee treu, wenngleich es andere Zielstellungen damit verknüpfte – insbesondere in Hinblick auf die Werke der Kunst. Und auch heute herrscht das Bedürfnis nach der Zweckmäßigkeit von (zeitgenössischer) Kunst vor, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beispielsweise durch Ausstellungen legitimiert werden sollte. Die immanente Ordnung der Bilder versuchte man aber auch aus wissenschaftlicher Sicht zu decodieren, um mit strengen Methoden allgemein gültige Urteile über sie treffen zu können. Vor allem das Kunstwerk galt es zu entschlüsseln. Denn das Kunstwerk hatte gegenüber anderen Bildern einen Mehrwert. Einen Mehrwert jenseits seines Produzenten. Auch dies gelang letztlich durch die Fotografie, die vergleichendes Sehen ermöglicht hatte, wodurch Kunstwerke einander gegenübergestellt werden konnten. Ohne dabei den Autor zu denken. Doch streng wissenschaftliche Methoden konnten dem letzten Wesensmerkmal von Kunstwerken nicht gerecht werden. Nicht zuletzt, weil Bilder prosaisch sind. Die Notwendigkeit, den Bildbegriff zu aktualisieren, beschwor ein neues Verständnis für das Wesen des Kunstwerkes und Bildern im Allgemeinen. Dieses Verständnis zeichnete sich durch die Negation der illustrativen Fähigkeiten von Bildern – sei es die Illustration der Geschichte oder des jeweiligen Künstlers, zugunsten einer Hervorhebung der Autonomie des Bildes aus. Derartige Überlegungen sollten wiederum als Grundlagen für neue methodische Fragestellungen dienen, die sie gleichermaßen bereitstellten. Doch entwickelten sie ihre Methoden systematisch und mit dem gleichen Anspruch an allgemein gültige Urteile (die ihrerseits oftmals einem einseitigen Bildverständnis verpflichtet waren) wie es bereits ihre Vorgänger taten. Etablierte Formen des Wissens und überkommene Weisen der Wissensakkumulation können jedoch dem neuen Bildverständnis nicht gerecht werden. Denn das Denken des Bildes verändert gleichermaßen das Bild des Denkens. Problematisch ist die Statik der Theorie insbesondere dann, wenn sie einem Bildbegriff gegenüber steht, dessen magischer Charakter zunehmend in einer so bezeichneten Lebendigkeit des Bildes verortet wird. „Bilder wollen geküsst werden“ stellt beispielsweise W. J. T. Mitchell in seinem Buch „What do picture want“ – in der deutschen Übersetzung „Das Leben der Bilder“ – fest. Die Frage zielt darauf ab, Bilder nicht länger als Artefakte wahrzunehmen, sondern ihnen vielmehr eine eigene Lebendigkeit zuzuschreiben. Die Wortwahl verfehlt am Ende allerdings ihr Ziel, denn wie sich herausstellt, glaubt Mitchell nicht wirklich daran, dass Bilder etwas wollen. Obwohl er Szenarien lebender Bilder im Sinne der Biokybernetik exemplifiziert. Er interessiert sich jedoch für das Phänomen, dass Menschen zumeist so handeln, als würden sie daran glauben. Indem er nach ihrem Wollen fragt – und nicht wie bis dato nach ihrer Bedeutung – fordert er zu einen Wechsel von der semiotischen und hermeneutischen Perspektive zu einer poetologischen Perspektive auf. Den Ursprung der magischen Macht der Bilder aufzudecken, ist für viele Autoren bildwissenschaftlicher Tendenzen eine grundsätzliche Ambition. Dafür ist es notwendig, den Bildern das Vermögen beizumessen, aus sich selbst heraus zu erzählen. Nicht selten tendieren sie jedoch vielmehr zu einer uneindeutigen Mystifizierung. Die Erweiterung des Bildbegriffs wird auch deshalb virulent und ist insofern noch immer aktuell, als dass sich die Grenze zwischen imaginativen Bildern und Bildern, die einen Objektstatus besitzen, aufzulösen beginnt. Nicht zuletzt, weil ihre haptische Präsenz durch das Internet nicht mehr genau definiert werden kann. Weil sich das Material vom Gebrauch unabhängig gemacht hat und so der Gebrauch der Materialität Folge leisten muss. In diesem Sinne visualisiert die Ausstellung A process, wie Bilder zunehmend betrachtet werden: Sie sind nicht mehr als ein greifbarer und erschließbarer Gegenstand menschlichen Wissens oder wissenschaftlicher Betrachtung zu verstehen. Denn Bilder sind prosaisch und in diesem Sinne von ihren Autoren befreit, ohne diese dabei sterben zu lassen. Dies zeigt sich umso nachdrücklicher in der Konfrontation mit anderen Bildern: Ähnlichkeit und Differenz sind hier kein Mittel der Verifikation oder Falsifikation. Sie erlaubt es den Bildern einen gemeinsamen Sinn zu generieren, jenseits von Gültigkeit und Definition. Die Erstellung von combinations beruht auf der individuellen Wahrnehmung und resultiert dabei nicht nur in rezeptionsästhetischen Fragestellungen sondern führt zugleich die instinktive Suche nach Bedeutung als eine anthropologische Konstante vor. Denn das Zusammensetzen einzelner Teile zu einer höheren Bedeutung, darf wohl als die einschlägigste Leistung des menschlichen Denkens – die ihn als animal symbolicum auszeichnet – bezeichnet werden. Nur muss manchmal jenes größere Ganze neu gedacht oder gar selbst in Frage gestellt werden. Die Bilder haben sich ihr magisches Potential zurück erobert. Und vielleicht geht dieses magische Potential mit einem Verlust des Glaubens an die Fähigkeit zu allgemeiner Gültigkeit einher. An deren Notwendigkeit zur Legitimation – insbesondere von Kunstwerken – man bisher noch glaubte. Und womöglich gelingt ihnen das gerade deshalb, weil sie sich ihrer Haptik nicht mehr sicher sein können. Weil sie gleicher Zeit verschiedene Aggregatzustände – wenn man so will – einnehmen können. Potential meint eine Fähigkeit, die noch nicht ausgeschöpft ist, oder noch nicht einmal aktiviert wurde. A process geht dieser Fähigkeit der Bilder auf den Grund. Ohne sich dabei veralteten Formen der Wissensakkumulation zu bedienen, sondern einzig durch Vertrauen. In das magische Potential der Bilder. Literatur

  • Mitchell, W. J. T.: Das Leben der Bilder. C.H.Beck: München 2012.

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