Das schwarze Quadrat auf Instagram: Protokoll eines Gewissenskonflikts

Als ich gestern in der Früh noch im Halbschlaf Instagram geöffnet habe, wie jeden Tag in der zugegeben freudigen Erwartung, dass mir gleich unzählige mehr oder weniger inspirierende, auf jeden Fall aber irgendwie affizierende Bilder in meinem Feed begegnen würden, musste ich mir erst einmal die Augen reiben. Anfangs waren da nur vereinzelt schwarze Quadrate, aber jedes Mal, wenn ich den Feed neu geladen habe, wurden es mehr. Ich bin Social-Media-versiert genug, um gleich verstanden zu haben, dass da nichts kaputt ist, dass da kein Fehler passiert ist, sondern dass es sich um eine Aktion handeln musste, die natürlich auch über einen Hashtag kommuniziert wurde: #blackouttuesday. Schnell ließ sich herausfinden, dass es sich um eine Geste der Anteilnahme handelte. Seit dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd hatten sich zunächst landesweit, mittlerweile weltweit Protestierende zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit zusammengefunden. Die Anteilnahme galt allen Betroffenen.

Durch die unzähligen schwarzen Bilder wurde die Timeline zunehmend zu einer riesigen Leerstelle, nur vereinzelt unterbrochen von plötzlich obszön farbig und fröhlich anmutenden gesponserten Werbebeiträgen. Diese aufgesetzte Happiness, die auch sonst manchmal gar nicht zur eigenen und noch weniger zur gesellschaftlichen Realität passt, sie wurde auf dem schwarzen Grund regelrecht ausgestellt. Das hatte zugleich den beeindruckenden Effekt, dass ebenjene gesellschaftliche Realität des strukturellen Rassismus gerade durch die beklemmende Stille unüberhörbar wurde. 

In den Tagen zuvor hatte ich bereits viele bewegende Stories und IGTV-Beiträge gelesen und gesehen. Einer war von Segun Oluwadele, einem Songwriter (hier ist sein Instagram-Profil: https://www.instagram.com/segunoluwadele/).

Wie viele andere versuchte er seine ambivalenten Gefühle angesichts des schwarzen Quadrates zum Ausdruck zu bringen, das vielleicht als eine nette Geste der Solidarität gedacht war, sich zugleich aber auch für die Betroffenen zu wohlfeil anfühlte und zudem dadurch, dass viele den Hashtag #blacklivesmatter verwendeten, die eigentliche Bewegung und das, was sie zu sagen und zu zeigen hatte, unsichtbar machte. Was auf den individuellen Feeds als Ausstellungsfläche diente, hatte im Feed des Hashtags zugleich den Effekt einer schwarzen Übermalung, die alles auslöschte, was dort an relevanten Inhalten zusammengetragen wurde. 

Es gab viele emotionale Momente in dem Video, besonders berührte mich, dass Segun Oluwadele während der Aufnahme anlässlich der zahllosen schwarzen Quadrate bemerkte, dass viele – gewiss bei weitem nicht alle, aber immerhin viele – Menschen offenbar zum ersten Mal realisierten (und in Angesicht der Heftigkeit der Proteste auch zu glauben begannen), welchem Ausmaß an Missgunst, psychischer und physischer Gewalt Menschen ausgesetzt sind, die nicht weiß sind. Ein solches Signal zu senden, dass man etwas vielleicht noch nicht verstanden, aber doch wenigstens wahrgenommen hat, erschien mir dann doch etwas wert zu sein.

Den ganzen Vormittag war ich hin- und hergerissen: Sollte auch ich ein schwarzes Quadrat posten? Ich haderte aus unterschiedlichen Gründen damit. In gewisser Weise stand das schwarze Quadrat für mich in der Tradition von Bekenntnisgesten, wie sie seit einigen Jahren in den Sozialen Medien Konjunktur haben, und die mir selbst fremd, ja bei anderen sogar oft unsympathisch sind. Und natürlich sind es meist Gesten, die besonders umstandslos zu tätigen sind. Ich denke da etwa an den Regenbogen, den man sich 2015 bei Facebook über das Profilbild legen konnte, um das Supreme-Court-Urteil zur Ehe für alle zu loben und zu feiern. Oder an die Facebook-Profil-Bilderrahmen, mit denen man sich bei der Bundestagswahl 2017 zu einzelnen Parteien öffentlich bekennen konnte. Ein solches Bekenntnis zur Selbstinszenierung zu nutzen – das liegt mir persönlich schlichtweg fern. 

Genauso fern liegt es mir, mich einer Massenbewegung, einem Gleichschritt zu ‚fügen‘, und je mehr Menschen, Freunde, Bekannte, Prominente, Institutionen das Quadrat posteten, desto stärker sträubte ich mich dagegen. Nun, dieser Reflex, dieses merkwürdige Individualitätsbewusstsein, das mich auf einmal heimgesucht hatte, überraschte mich allerdings auch und ich erschrak ein bisschen über mich selbst. Ich wollte zwei Dinge also auf keinen Fall, mich selbst durch ein Bekenntnis zur Schau stellen und einfach irgendwo mitmachen, ohne etwas Besonderes zu sagen zu haben – dann doch lieber schweigen. 

Ums Schweigen, das wurde mir schließlich deutlich, ging es gerade bei der ‚Aktion‘. Es ging darum (auch wenn dies durch die Verwendung des #blm-Hashtags unwissentlich nach hinten los ging), das Schweigen irgendwie zu visualisieren und bildlich anzuzeigen, dass man anderen das Wort überlässt und sich selbst mal einen oder noch besser mehrere Tage zurücknimmt. Dass man mal einen oder noch besser mehrere Tage die Aufmerksamkeit auf ein ganz bestimmtes Thema lenkt. Und dabei dachte ich wieder an diesen wahnsinnig starken Effekt beim Anblick der schwarzen Bilder im Halbschlaf, und ich dachte daran, wie ich allein in diesen wenigen vormittäglichen Stunden ganz andere Beiträge zu Gesicht bekam, von Menschen, die ich sonst in meinem Feed nicht einmal bemerkt habe. Und in diesem Moment entschied ich mich, nach langem Hadern und großen Hemmungen, doch ein schwarzes Quadrat zu posten. Und zwar ein schwarzes Quadrat ohne Hashtags, ohne Text, gedacht als eine Art Schweigeminute, als ein Zurücktreten, als ein Signal, dass man etwas besser verstanden hat.

Als ich dann aber plötzlich mehr Likes für das schwarze Quadrat als für viele sonstige und, wenn ich das sagen darf, teilweise ambitionierten Bilder erhielt, fühlte ich mich schmutzig. Ich wollte nicht nur keine Hashtags, sondern auch keine Likes. Natürlich weiß ich, dass man kaum Einfluss darauf nehmen kann, wie ein Posting rezipiert wird, aber dass mir einmal Likes im Hals stecken bleiben könnten, war dann doch neu für mich.

Nachdem gestern bereits vielfach über den Sinn und Unsinn des schwarzen Quadrats diskutiert wurde, so sehr, dass es den Diskurs über Rassismus und Polizeigewalt, um den es ja eigentlich ging, regelrecht überschattete, sah ich heute morgen, dass sehr viele ihr schwarzes Quadrat wieder gelöscht hatten. Natürlich blieb das nicht unkommentiert, und so überlagerten nun die Begründungen für die Löschung des Quadrates wiederum die möglicherweise hilfreichen, relevanten, nützlichen Informationen zum Protest, zu Rassismus, zu Polizeigewalt. Gerade in der Löschung des schwarzen Quadrates offenbarte sich das hässliche Gesicht der Postings, bei denen es letztlich also doch darum ging, sich als eine Person zu zeigen, die etwas ‚richtig‘ und nicht ‚falsch‘ macht. Und dass plötzlich dieses Thema überall im Zentrum steht, schwarzes Quadrat: ja oder nein, handle ich richtig: ja oder nein, ist wirklich eine traurige Kehrseite der Debattendynamik im Netz. 

Der #blackouttuesday und die damit verbundenen Diskussionen sind ein Beispiel für das sogenannte ‚social swarming‘, von dem Kerstin Schankweiler gezeigt hat, dass es typisch für aktuelle Protestbewegungen im Netz ist. Die Kehrseite ist nun, dass die Möglichkeit einer produktiven Schwarmintelligenz, der es gelingen kann, wertvolle Informationen und Wissen zu einem Thema zu verbreiten, jederzeit in Bewegungsmuster umschlagen kann, die so instabil sind, dass daraus keine politischen Energien mehr entstehen können – was beim #blackouttuesday leider passiert ist.

Aber nicht nur die Kritik derer, an deren Erfahrungen man zumindest Anteil nehmen wollte, sowie Einwände aus der eigenen ‚Community‘ haben dem Diskurs eine Wendung mit Beigeschmack verliehen. Beklemmend ist auch ein rechter Resonanzraum, in dem seit gestern Nachmittag weiße Quadrate unter Hashtags wie #whiteouttuesday oder #whiteoutwednesday gepostet werden – als Kritik und gleichermaßen Ausdruck von egozentrischen Bekenntnispostings. 

In Reaktion darauf versuchen gerade eben wiederum #blm-Profile mit schwarzen Quadraten, dem #whiteoutwednesday seine Sichtbarkeit zu nehmen. Optisch entsteht hierbei eine Art Schachbrett, ein makabres Spiel. 

Als hätte man keine anderen, keine echten Probleme mehr.

Ich sah mich heute mehrfach mit der Frage konfrontiert: Soll ich mein schwarzes Quadrat löschen, oder nicht? Es wird stehen bleiben. 

 

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2 Antworten zu „Das schwarze Quadrat auf Instagram: Protokoll eines Gewissenskonflikts”.

  1. Dank für den offenen Text, aber irgendwie verstehe ich nicht das beschriebene Problem. Wem wurde geschadet, also man 2015 den Regenbogen zeitweilig ins Profilbild nahm? Und dann im Verhältnis zu der weltweit zu beobachtenden positiven Bewegung, dass immer mehr Staaten die Ehe für alle ermöglichen?
    Dass die schwarzen Quadrate im Zusammenhang mit dem Hashtag #blacklivesmatter diesen Hashtag für einen Moment beherrschen, dass dann gleich als Übermalung und Unsichtbarmachung von dessen Anliegen zu beschreiben, ist doch schon ein sehr gesuchtes Kontra-Argument…
    Und der Vorwurf der bequemen Selbstinszenierung, also da müsste man auf Instagram ganz andere Gebaren kritisieren…. Von daher: Schön, dass Sie sich durchgerungen haben, das Quadrat auch zu posten.
    (Manchmal sind auch Skrupel eine Form von Bequemlichkeit.)
    Viele Grüße
    Sttram

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  2. I enjoyed reeading your post

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