Miau gegen Terror

Es dürfen bloß keine Informationen über den Großeinsatz in Brüssel durch die sozialen Netzwerke in die Weltöffentlichkeit gelangen. Das war das Anliegen der Polizei, als sie darum bat, Tweets unter dem Hashtag #BrusselsLockdown einzustellen. Doch anstatt dies zu befolgen oder die Situation auf eine andere Art ernst zu nehmen, veröffentlichten plötzlich alle Katzenbilder. Für die Netzwelt schien es selbstverständlich zu sein, warum jetzt eigentlich nur #Catcontent plausibel sein kann. 

„Endlich dürfen wir mal“

Eigentlich wurden unter dem Hashtag #BrusselsLockdown neueste Informationen zur höchsten Terrorwarnstufe in Brüssel, zum Ermittlungsstand der Polizei und dem aktuellen Stadtbild ausgetauscht. Als die Polizei die Bevölkerung bat, keine Einzelheiten zum Großeinsatz in den sozialen Medien zu verbreiten, da das den Terroristen helfen könnte, wurde neuer Content geliefert. Und zwar mit dem, was das Internet zu bieten hat und üblicherweise unter dem Hashtag #catcontent zu finden ist: Katzenbilder.

Wo das Niedliche und Süße sonst eher banalisiert, wenn nicht sogar verteufelt wird, überraschen die Glücksbekundungen in den sozialen Netzwerken gegenüber den Katzenbildern: „Endlich habe ich einen Vorwand, um Catcontent zu retweeten“, freut sich ein User. Ein Befreiungsschlag für den #catcontent? Eine Waffe gegen den Terrorismus?

Katzen in der Popkultur

Mit dem ausgehenden Mittelalter, in dem Katzen noch als Sinnbild des Teufels galten, beginnt das flauschige Tier für den Menschen immer wichtiger zu werden. Das Niedliche und Süße wird – gerade auch in der Analogie zur Frau – einerseits banalisiert, andererseits verehrt. Zahlreiche Katzenmaler verleihen den Tieren besonders in jenen Eigenheiten Ausdruck, in denen sie dem Menschen am ähnlichsten sind: Selbstständigkeit und Opportunismus. In der Fotografie steckt Harry Pointer Katzen in Kostüme, um sie in menschliche Rollen zu versetzen. Thomas Edison baute seinen Kätzchen sogar einen Boxring und kleine Fäustlinge und drehte einen Film, der die beiden beim Kampf zeigt. 357.484 Klicks hat das Video mehr als 100 Jahre später auf YouTube.

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Die beliebteste Katzenmalerin des 19. Jahrhunderts war Henriëtte Renner-Knip. Hier: Die Globetrotter, um 1890.
Thomas Edison: The Photographer, ca. 1870.
Harry Pointer: The Photographer, ca. 1870.

Katzen sind ein wesentliches Motiv unserer Popkultur. In der Romantik wird Kater Murr zum autobiographischen Ich-Erzähler des satirischen Romans von E. T. A. Hoffmann (1819-1821). Lewis Carroll reduziert die Katze in seinem Roman „Alice im Wunderland“ von 1866 auf ihr uneindeutiges Grinsen, indem sie in der Wahrnehmung von Alice verschwindet, während das Grinsen zurückbleibt. In der gleichaltrigen Übersetzung taucht die „Grinsekatze“ wie folgt auf: „‚Wollen Sie mir gütigst sagen,‘ fragte Alice etwas furchtsam, denn sie wußte nicht recht, ob es sich für sie schicke, zuerst zu sprechen, ‚warum Ihre Katze so grinst?‘ ‚Es ist eine Grinse-Katze,‘ sagte die Herzogin, ‚darum!‘“ Die Katze wird zum Träger einer Evidenz, für die es keiner weiteren Erklärung bedarf. Auf der Originalillustration von John Tenniels schwebt die Katze fast schon zynisch über den Köpfen derer, die sich darüber austauschen, ob es möglich sei, einen Kopf ohne Körper zu köpfen.

Die Grinsekatze in der Originalillustration von John Tenniels.
Die Grinsekatze in der Originalillustration von John Tenniels.

1978 erschien erstmals der Comic-Strips „Garfield“ von Jim Davis. Dieser parodiert nicht nur das Verhältnis von Halter und Haustier, sondern allen voran die überaus menschlichen Probleme des Katers: zum Beispiel Langeweile oder Diäten. Der zynische Umgang Garfields mit diesen Problemen ermöglicht eine direkte Missachtung gesellschaftlicher Konventionen und macht beißenden Spott massentauglich. Und zwar einzig deshalb, weil es sich um eine Katze handelt, mit der man sich zwar identifizieren kann – aber nicht muss.
Als Mensch wäre Garfield hässlich, dick und träge. Als Kater hingegen ist er süß, man verzeiht ihm seinen Zynismus, seine Gier und seine Trägheit. Er ist ein Stellvertreter, ohne dass man es bemerkt.

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Der erste Comic-Strip von 1978.

#catcontent

Auch der Erfinder der Nyan Cat fand seine Animation einfach süß: „Honestly, it was just going to be a cute little animation to post on my website.“ Das Süße ist wirkmächtig und wird innerhalb weniger Stunden zu einem Mem.

Auch Nyan Cat ist ein Stellvertreter, wenngleich in einem ganz anderen Sinne als Garfield. Während Letzterer eine Persönlichkeit repräsentiert, mit der man sich identifizieren kann, erfüllt Nyan Cat seine Stellvertreterrolle in der Kommunikation. Mit Nyan Cat lassen sich Emotionen karikieren oder Ironie artikulieren, ohne dabei zielgerichtet zu sein. So hat der #catcontent im Internet eine ähnliche Funktion wie Emoticons, sie treten symbolisch an die Stelle von Emotionen oder Haltungen, die sonst unaussprechlich sind. Nicht zufällig gibt es neben dem Angebot „menschlicher“ Emoticons eine exakte Entsprechung für Katzen. Dass hierfür gerade die Katze auserwählt wurde, liegt in ihrer popkulturellen Sozialisation begründet.

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#Catcontent, unabhängig von seiner Gestalt, erlaubt es, genau das zu sagen, was nicht allzu ernst genommen werden soll, aber doch einen Ausdruck finden muss. Alles, was zu direkt oder sogar peinlich wäre. Es wird eine ironische Distanz ermöglicht, die die eigene Kultur weder fanatisch beteuert, noch gleichgültig in den Hintergrund rückt.

„Miau statt Terror“ – #catcontent als pragmatischer Idealismus?

„Mit Katzen gegen die Terrorangst“ oder „Katzen gegen Terroristen“ – das sind die Parolen während der sonst eher stillen Nacht in einem Brüssel mit höchster Terrorwanstufe. Und einem Brüssel, dem die Anschläge vom 13.10. in Paris nicht nur vorausgehen, sondern auch zu ihm in Beziehung gesetzt werden. Wer das ernst nehmen würde, fände den #catcontent-Reflex auf die Terrorismus-Bedrohung höchstwahrscheinlich naiv. Und das wäre er auch, richtete er sich einzig und ernsthaft gegen die Terroristen. Das trifft jedoch nur bedingt zu. Der #Catcontent-Reflex beteuert zugleich die eigene Kultur, die allen voran eine Konsum- und Popkultur ist. Dabei ist sie weder naiv, noch fanatisch.

„Der Beweis: Katzen können die Welt verändern.“

Der Kontrast zwischen naiv-süß und fanatisch-aggressiv, als dessen Vermittler die Katzenbilder zu fungieren scheinen, findet in vielen Bildern unter dem Hashtag #BrusselsLockdown eine Entsprechung. Ein Kätzchen auf einem Kampfflugzeug, eines mit Gewehr zwischen den Pfoten und ein drittes beim Lesen eines Buches über militärische Strategien. Am beliebtesten sind jedoch vor allem jene Katzen, die einen Klassiker unserer Popkultur referieren: Star Wars.

Neben vielen Laser-Schwertern fiel ein Motiv besonders auf, das im Übrigen schon länger die Welt der sozialen Medien bewohnt. Es sind zwei Sturmtruppler, die unter Anderen das Militär des Galaktischen Imperiums bilden. Sie reiten auf zwei Katzen, die zwar als Transportmittel modifiziert sind, aber noch immer oder gerade deswegen verdammt süß aussehen. An ihnen zeigt sich am besten die Strategie: mit ein wenig Naivität und der Referenz auf unsere Popkultur Ernsthaftigkeit zu bezeugen.

 

4 Antworten zu „Miau gegen Terror”.

  1. Hahaha was für ein tolles Foto xD

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  2. […] neben Essen auf Instagram und Co. immer geht: #catcontent. In ihrem Blog so frisch so gut hat sich Annekathrin Kohout an einer Geschichte der Katzen in der Popkultur versucht. […]

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  3. […] tiefergehenden Beschäftigung mit dem Thema hat, dem möchte ich Annekathrin Khouts Essays ‘Miau gegen Terror‘ wärmstens […]

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  4. […] programmatisch verwendet. Als zum Beispiel während der Anschläge in Brüssel unter dem Hashtag #brusselslockdown Katzenbilder gepostet wurden, um zu signalisieren: das ist untere Kultur – niedlich, positiv und unterhaltsam. Das ist eine […]

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Hinterlasse eine Antwort zu Aufgelesen 2015.3: Über Barbies und das totale Dasein | artefakt Antwort abbrechen

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