Die alten Meister erleben im Internet eine Konjunktur. In der Konfrontation mit unserer Gegenwart entfalten sie einen unwiderstehlichen Anachronismus, mit dem sich Späße machen, aber auch unsere heutige Kultur visuell fokussieren lässt. Denn am besten erkennt man doch im Fremden das Selbst, wie es heißt. Und lange Zeit war vielen kaum etwas fremder als die Werke der alten Meister. Viele Strategien werden angewandt, die alte Kunst von ihrem hohen Ross zu holen und sie gleichberechtigt neben die anderen Bildwelten unserer Kultur zu stellen. Wie das aussieht? Hier eine Top Ten-Auswahl der neuen alten Kunst:
10. Thomas Robson: Fluid Pigments
Der BBC Designer Thomas Robson besudelt alte Werke der bildenden Kunst. Meistens, indem er sie mit Farben „bespritzt“. Seine Originalität, die nicht zuletzt durch die Haptik des Farbauftrags oder Flecks signalisiert wird, soll die des ursprünglichen Bildes überschreiben. Oft löscht er dabei die Gesichter aus, was die Provokation des ikonoklastischen Akts verstärken soll. Bad Painting? Nein: die Bilder sehen eigentlich ganz nett aus.
9. Chris Rellas: copylab
Die US-amerikanische Bekleidungskette Nasty Gal startete 2014 mit Studierenden der Georgetown University einen Instagram-Account unter dem Instagram-Profil @copylab Collagen, in denen alten Meistern, aber auch der Kunst der Moderne, angesagte Modeaccessoires oder It-Girls und -Boys an die Seite gestellt werden. „I think Renaissance images are great, as there’s often a stark contrast between the paintings and the fashion elements that I add.“ Doch nicht nur der Kontrast, welcher sich besonders gut fügt, ist befremdlich, sondern allen voran, dass Kunst zum Werbeträger für Mode wird. Das bleibt unreflektiert stehen, macht aber genügend Spaß, um oft angesehen und geteilt zu werden.
8. Matthew Britton: Old Masters BuzzFeed
BuzzFeed ist eines der beliebtesten Medienportale im englischsprachigen Raum und bekannt für direkte Überschriften und das Erstellen von ungewöhnlichen Listen. „18 Reasons Girl With A Red Head Was Your Childhood Hero“ könnte eine BuzzFeed-Überschrift sein, ist aber Teil einer Collage von Matthew Britton aus Wales, der auf seinem Tumblr alte Meister mit fiktiven, zu den Werken passenden, Buzzfeed-Überschriften kombiniert. Die Kunstwerke werden zur Illustration, wo sie eigentlich Anlass für die Überschrift waren. Witzig ist es trotzdem.
7. Marco Battaglini: ArtPopClassics
Tattoos am Körper, Calvin-Klein-Unterhosen über dem Gesäß, Graffiti an den Wänden und Warhol auf der Staffelei: Klassiker der Kunstgeschichte werden von Marco Battaglini mit Attributen der Popkultur versehen. Bei den Werken des italienischen Künstlers entsteht jedoch kein Anachronismus, sondern vielmehr eine stimmige Einheit zwischen den Zeiten, die durch die einheitliche visuelle Oberfläche erzeugt wird. Daher kann man nicht von einem „esthetic shock“ sprechen, den Naiara Herrera identifizierte, sondern vielmehr von einer Überwindung des Kultur-Clashs, den man erwarten würde.
6. Steve Melcher: This is Priceless
Fast schon ein Klassiker ist der Blog „This is Priceless“ von dem amerikanischen Comedien Steve Melcher. Seit 2009 gibt er alten Gemälden neue Namen und macht dadurch echte Sketche aus ihnen. Sein Blog ist bereits als Buch erschienen. Auch in Deutschland: unter dem Titel „Kunstgeschichten. Was uns der Künstler wirklich sagen wollte.“
5. Etienne Lavie: OMG, who stole my ads?
Eigentlich befindet sich das Altarbild der drei Erzengel des italienischen Malers Marco d’Oggiono in der Pinacoteca di Brera in Mailand. Lavie hat es aber, wie viele andere mittelalterliche Kunstwerke, auf die Straße geholt. Die französische Künstlerin hat für ihre Serie „OMG, who stole my ads“ in Paris und Mailand Straßenszenen mit Werbeplakaten fotografiert, um diese dann durch ansässige Kunstwerke, die üblicherweise hinter musealen Mauern versteckt liegen, zu ersetzen. Gleichzeitig soll die Arbeit ein Augenmerk auf die Überfrachtung der Straßen mit Werbeplakaten legen:
Ob sich die kulturpessimistische Kritik in den Bildern von Lavie tatsächlich entfaltet und ob sie es sogar schafft, der abendländischen Gesellschaft ihre angeblich besseren Bilder zurück zu geben, bleibt fragwürdig.
3. Nicholas Mottola Jacobsen: You are Rockstar
2. Cecilia Azcarate: B4-XVI beforesixteen
1. Sid Lee: Kim at the museum
In vielerlei Hinsicht ein gelungenes Produkt der Netzkultur ist der Tumblr „Kim at the museum“ von Sid Lee, einem 1993 gegründeten Unternehmen, das kreative Dienstleistungen anbietet.
Bis zu 2,39 Millionen Likes bekommt Kim Kardashian allein auf Instagram für ihre geposteten Fotos und spätestens seit der Publikation „Selfish“ ist sie die Königin aller Selfies und Ikone der Sozialen Netzwerke. Mit diesem Buch ging Sid Lee ins New Yorker Metropolitan Museum of Art, um es vor Kunstwerke zu halten. Entstanden sind Fotos, die gerade keine Collagen sind, sondern Ausdruck einer spontanen Situation im Museum. Sie zeigen insofern das Making-of einer potentiellen Collage. Referiert werden darüber hinaus die unzähligen Museums-Selfies, zu denen die Institutionen immer häufiger aufrufen, als kunstpädagogischer Gag sozusagen.
„Kim at the museum“ ist hingegen sehr unprätentiös. Weder der Kunst, noch dem Selfie wird hier eine neue Erkenntnis oder Sichtweise abverlangt. Trotzdem passen die Bilder irgendwie zusammen. Zumindest für diesen kurzen Moment im Museum.