Der folgende Beitrag wurde publiziert in “Der Greif – A Process”.
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Magisches Denken ist von großer Attraktivität. Doch die Sehnsucht danach, von dem Wunderbaren verführt zu werden ist eigentlich vielmehr eine Erwartungshaltung. Es ist die Aussicht auf ein geheimes Wissen oder gar das Teilhabe an geheimen Kräften. Zugleich unterstützt das magische Denken den Augenschein. Nie war das Naheliegende näher und gleichzeitig ferner zu verstehen. Denn es liegt jenseits von Kriterien wie Wirksamkeit oder Nachweisbarkeit. Magisches Denken, wie es Foucault in das 16. Jahrhundert verortet hat, heißt über das Wahrnehmen hinaus in der Wahrnehmung etwas Wahres zu erkennen. Und diese Wahrheit bedurfte keiner Definition, da nur Begriffe einer Definition bedurften. Im 16. Jahrhundert jedoch, so konstatierte es Foucault, war die Sprache in der Welt niedergelegt. Sie war kein System aus Zeichen, die sich von den Dingen, die sie repräsentierten, abgrenzen ließen. Repräsentation wurde (noch) nicht gedacht.
Fotografien zu kombinieren, um- und anzuordnen, heißt auch, die Einzelbilder von ihrem repräsentativen Charakter zu entlasten. Der vor allem dem fotografischen Bild zu eigen ist.
Diese neu gewonnene Freiheit bereitet dem magischen Denken den Boden, auf dem es seinen Zauber entfalten kann.
Doch ist der Zauber dieser An- und Umordnungen zu bezahlen mit einer Entzauberung des Originals? Diese Frage ist nicht zuletzt Kern einer Kritik am Ausstellen, in deren Logik seit spätestens der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts argumentiert wurde. Ursache hierfür dürfte die romantische Vorstellung gewesen sein, dass das Kunstwerk in seiner Originalität eine spezielle Aura besäße, deren Verlust es zu beklagen galt.
Aus dieser Kritik, die gerade seit den 60er Jahren vielmehr eine Kritik an der Institutionalisierung von Kunst und ihrer Vermarktung war, ergaben sich hauptsächlich zwei Strategien: den Ausstellungsraum zu verlassen oder das Ausstellen selbst zu thematisieren. Methoden und Mechanismen des Sammelns und Ordnens vorzuführen, nicht zuletzt, indem man diese ironisch brach. Marcel Broodthaers stellte so 1972 in der Kunsthalle Düsseldorf circa 300 Gegenstände aus, die entweder einen Adler zeigten oder auf denen ein Adler appliziert war. Im Kunsthaus Graz zeigte er im gleichen Jahr Zimmerpflanzen, wo sich eigentlich Kunstwerke befinden sollten.
Heute ist die Kunstwelt über diese Kritik hinausgewachsen. Nicht, weil sie die Kritik ignoriert hätte, sondern möglicherweise, weil sie an neue Denkmuster appelliert. Es ist nicht mehr ihr Ziel, Denken zu konservieren, geschweige denn es in konserviertem Zustand zu präsentieren. Sie möchte selbst Welt (um)gestalten. Und nicht erklären. Als Anlass dazu dienen ihnen nicht selten Sammlungen und Ordnungen der bereits bestehenden Welt.
Die Unmittelbarkeit des magischen Denkens ist auch der Prosa zuzuschreiben. Prosa stammt von dem lateinischen Wort pro(r)sus/prosa oratio ab, was mit „gerade heraus, schlicht, ungebunden“ übersetzt wird. Dass gerade die Anbindung an andere Bilder ihre Ungebundenheit zum Vorschein bringt, ist keine Ironie des Schicksals. Denn Bilder sind längst nicht mehr verbindlich. „Die prosaische Welt“ nannte Foucault das Kapitel, indem der das magische Denken beschrieben hat. Und bezog sich damit auf das Buch „Die Prosa der Welt“ seines Lehrers Maurice Merleau-Ponty, welcher wiederum an ebendiese Formulierung bei Hegel appellierte, der in seinen Vorlesungen über die Ästhetik schrieb:
„Dies ist die Prosa der Welt, wie dieselbe sowohl dem eigenen als auch dem Bewußtsein der anderen erscheint, eine Welt der Endlichkeit und Veränderlichkeit, der Verflechtung in Relatives und des Drucks der Notwendigkeit, dem sich der Einzelne nicht zu entziehen imstande ist. Denn jedes vereinzelte Lebendige bleibt in dem Widerspruche stehen, sich für sich selbst als dieses abgeschlossene Eins zu sein, doch ebensosehr von anderem abzuhängen, und der Kampf um die Lösung des Widerspruchs kommt nicht über den Versuch und die Fortdauer des steten Krieges hinaus.“
Eine Welt der Veränderlichkeit appelliert an Versionen, die als Version auch eine Evidenz besitzen müssen, an die sich Glauben lässt. Insofern liegt magisches Denken näher am Glauben, der wiederum auf einen Zusammenhang des sogenannten großen Ganzen gerichtet ist. Foucault spricht von einer totalen Beziehung zur Totalität der Welt. Dies äußert sich in dem Umgang mit Bildern, insbesondere im Internet. Aber eben auch im Medium der Ausstellung selbst. Einem Medium, das dieser Zeit eine Konjunktur ungeahnten Ausmaßes erlebt. Einem Medium, das durchaus die Fähigkeit zur Totalität besitzt.
In einer Welt, in der sich nichts mehr reimt, eignet sich die Prosa besonders gut als Darstellungsform. Prosa ist aber auch nur Literatur. Wie jede Ausstellung nur eine Version ist.
A process führt das magische Denken als Potential einer Wahrheit vor, die keiner Definition bedarf. Und nicht bloß als eine absurde Idee, für die es oftmals gehalten wird. Die Ausstellung fordert dazu auf, zu sehen, anstatt einzusehen. Sie diktiert nicht, sondern lässt sich diktieren. Sie stellt Sinnvermutungen an, als sich der Sinne zu ermächtigen. Liefert Möglichkeiten statt Wirklichkeiten. Versionen statt Originale, von denen Dirk von Gehlen bereits in seinem Eintrag gesprochen hat. Das Kuratieren und Betrachten von Bildern erhält neue Akteure und Rituale. Und stellt die alten dadurch in Frage.
Literatur
- Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Suhrkamp Verlag: Frankfurt a.M. 1974. Französische Erstauflage (Les mots et les choses) 1966.
- Göttert, Karl-Heinz: Magie. Zur Geschichte des Streits um die magischen Künste. Wilhelm Fink Verlag: München/Zürich 2003.
- Hegel, G.W.F.: Vorlesungen über die Ästhetik I-III. Suhrkamp Verlag: Frankfurt a.M. 1970.
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